Olympia in China: Es werden frostige Spiele – Sport

Diese kleine Eruption hatte sich angekündigt, seit Wochen schon. Immer wieder hatte Wolfgang Maier getrommelt, hinter den Kulissen; er hatte Offizielle gefragt, was Sache sei, hatte Antworten erhalten, aber keine, die ihn zufriedenstellten. Dann hatte der Sportvorstand im Deutschen Skiverband (DSV) neue Pamphlete gewälzt, die illustrierten, was Athleten und Betreuern in der olympischen Winterspielblase von Peking blühen würde – zentrale Fragen aber blieben verhüllt, so sah Maier das.

Und wenn sich einer durch einen Paragrafen-Dschungel schlagen kann, dann er: Es gibt den einen oder anderen Trainer, der sagt, er sei auch deshalb beim DSV, weil der Sportvorstand sich “24 Stunden am Tag den Hintern aufreißt”, damit die Trainer sich darauf konzentrieren können, ihre Fahrer schnell zu machen, so gut das eben geht in diesen Tagen.

Vor einer Woche hatte Maier jedenfalls genug. Er redete über seinen Kummer, öffentlich, auch gegenüber der SZ. Ein bemerkenswerter Vorgang, der 61-Jährige legte ja das offen, was viele im deutschen Wintersporttross bestenfalls denken. Maier sprach von diffusen Vorgaben bei PCR-Tests, von ungeklärten Fragen, er sorgte sich sogar, dass die Gastgeber manchen einen positiven Corona-Test unterjubeln könnten, die dem Regime unbequem daherkommen. Seine Conclusio schob eine Debatte an: “Unter den gegebenen Bedingungen”, sagte er, sei es “kaum zu verantworten, wenn man uns da einfach rüberschickt”. Das saß.

Seit Monaten gibt es zwei Erzählungen von diesen Winterspielen, die am 4. Februar eröffnet werden sollen: Die offizielle geht so, dass die Spiele sicher sind, weil alle Teilnehmer sich in einer versiegelten Blase bewegen, in Bussen, Zügen, Hotels und Wettkampfstätten. Dass die Bedingungen hart, aber unerlässlich seien im Licht der Pandemie. Dass jeder natürlich seine Meinung äußern dürfe, obwohl die Behörden in China für gewöhnlich jede Meinung unterdrücken, die ihnen nicht in den Kram passt.

Die inoffizielle Version, die hervortritt, wenn man sich in den vergangenen Wochen mit kundigen Menschen unterhält, zeichnet ein anderes Bild: von Sorgen und widersprüchlichen Vorschriften, sogar von Warnungen an deutsche Olympiasportler, die nicht so ganz zu dem passen, was der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) öffentlich proklamiert. Ein Rundgang durch eine schwer angespannte Olympialandschaft.

Die Testverfahren, oder: Das große Zittern

Der Kern der Kritik, die Wolfgang Maier vor Kurzem erhob, ist bis heute akut: die Ungewissheit bei den Corona-Tests. Jeder, der die olympische Blase in Peking betritt, wird täglich durchleuchtet, per PCR-Verfahren. Wann dieses als positiv ausschlägt, entscheidet unter anderem der CT-Wert. Grundsätzlich gilt, sehr grob gesagt: Je höher dieser Wert, desto weniger ansteckend ist eine Person. In Deutschland werden Menschen mit Werten ab über 30 in der Regel nicht mehr als positiv klassifiziert, der Welt-Skiverband (Fis) nahm bis zuletzt eine Marke von 32 als Richtschnur.

Und China? Maier bemängelte, niemand habe ihm bis zuletzt klare Werte nennen können, obwohl er immer wieder fragte: Wird dort nach internationalen Kriterien gearbeitet? Was ist mit Athleten, die sich schon mal infizierten und noch Partikel des Virus in sich tragen – welche Werte gelten dann? “Bei Tausenden Leuten, die gleichzeitig im olympischen Dorf und in den Bubbles sind”, fand Maier, “gehört das aus meiner Sicht auch zu unserem persönlichen Schutz klar geregelt.”

Spricht aus, was viele nur denken: Wolfgang Maier, Sportvorstand im DSV, sorgte sich zuletzt um unklare Testvorschriften.

(Foto: Maximilian Haupt/dpa)

Die größte Sorge bereitet vielen gerade der Flaschenhals, durch den sich alle Teilnehmer bei der Anreise zwängen. Vor Abflug sind zwei PCR-Tests vorgeschrieben – ein arg durchlässiges Netz, um eine hoch ansteckende Omikron-Variante komplett abzufangen, ehe sich der Tross in die Flieger zwängt, stundenlang. Bei der Ankunft laufen dann sofort die Testungen an. Die, so die Sorge, womöglich so sensibel justiert sind, mit hohen CT-Werten, dass Athleten, die in Europa als negativ gewertet werden, in Peking positiv aus dem Flugzeug stolpern. Der Anspannung, die seit Monaten ohnehin über allen liege, sei das nicht gerade zuträglich, sagte Jürgen Graller zuletzt, der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen: “Im Prinzip”, sagte er, “zitterst du vor jedem PCR-Test.”

Dirk Schimmelpfennig, der den DOSB in Peking als Chef de Mission vertritt, sagte unlängst im Deutschlandfunk, Chinas Behörden hätten den CT-Wert seit Längerem auf 40 festgezurrt. Man wolle das derzeit mit dem IOC herunterverhandeln, sei aber an das gebunden, was die Behörden vor Ort vorgeben. Das IOC versicherte zuletzt, dass bei positiven Fällen ein Expertengremium von Fall zu Fall entscheide, mit chinesischen und internationalen Fachleuten. Ob das die Zweifel dämmt?

Dass die Tests eine Einstiegsluke seien, um Athleten aus dem Rennen zu nehmen, diese Sorge nimmt Schimmelpfennig “sehr ernst”. Er vertraue aber in das IOC und die Gremien. Franz Steinle, der DSV-Präsident, sagte wiederum, zu Manipulationen lägen “überhaupt keine Erkenntnisse vor”. Man wisse auch nicht, “mit welcher Intention so etwas geschehen sollte”. Ach ja? Das ist natürlich der Sinn des Betrugs: dass man die Zielscheiben schön vorher warnt, dass man auf sie zielt. Wer erinnert sich nicht an die Russen, die dem international beaufsichtigten Anti-Doping-Labor 2014 bei den Spielen in Sotschi selbstverständlich vorab mitteilten, durch welches Loch in der Wand sie die Proben ihrer Athleten austauschen würden …

Meinungsfreiheit, oder: Warnungen aus dem Auswärtigen Amt

Keine Indizien für Manipulationen? Nun ja, die eine oder andere Fährte gibt es schon, der DOSB hat sie selbst legen lassen. Seit Wochen organisiert der Dachverband interne Gesprächsrunden, Athleten und Betreuer werden auf den neuen Stand gebracht, auch was Sicherheit und Menschenrechte betrifft. Teilnehmer berichten, der Dachverband agiere da wirklich gewissenhaft; Menschenrechtler von Human Rights Watch hätten Athleten und Betreuer umfassend über die Lage in China unterrichtet – damit jeder, der sich vor Ort äußern wolle, dies auch kundig tun könne, das ist während der Spiele ja erlaubt. Nur: Bei einem Call Mitte Dezember war auch ein Vertreter des Auswärtigen Amtes geladen, und was dieser vortrug, ermunterte nicht gerade, in China die Unterdrückung von Uiguren und Tibetern anzuprangern.

Man wisse aus der Vergangenheit, berichtete der Mann nach SZ-Informationen, dass etwa Bundestagsabgeordnete nicht mehr ins Land einreisen durften, nachdem sie sich kritisch geäußert hatten. Es sei nicht auszuschließen, dass das auch Athleten widerfahren könne, die “negativ auffallen”, hieß es. Die chinesische Regierung wolle sich durch möglichst perfekte Spiele profilieren, öffentliche Kritik sei den Behörden da “nicht willkommen”. Man müsse auch damit rechnen, dass die digitale Kommunikation ausgelesen werde. Die beste Idee sei es, private Geräte zu Hause zu lassen und Mobiltelefone mit Prepaid-Karte zu nutzen, die man später entsorgt. So, wie es die Briten und Niederländer zuletzt ihren Olympiafahrern rieten.

Ist es da wirklich so abwegig, dass jemand auf die Idee kommt, den PCR-Test eines Athleten ein wenig genauer anzuschauen, der gerade Chinas Menschenrechtslage angeprangert hat?

Olympia in China: Kritische Blicke unerwünscht: Ein Sicherheitsmann versucht einen Fotografen daran zu hindern, ein Hotel in der olympischen Blase in Peking zu fotografieren.

Kritische Blicke unerwünscht: Ein Sicherheitsmann versucht einen Fotografen daran zu hindern, ein Hotel in der olympischen Blase in Peking zu fotografieren.

(Foto: Thomas Peter/Reuters)

Die Haltung des DOSB ist in diesem Licht, nun ja, bemerkenswert. Thomas Weikert, der neue Präsident, hatte vor Kurzem im SZ-Interview bekräftigt, man könne einiges bewegen, wenn man in Ländern wie China kritisch auftrete: “Es gibt ja weiterhin Pressekonferenzen, auch für die Sportler, vor oder nach dem Wettbewerb, sodass die Gelegenheit da ist, sich zu äußern”, sagte er. Und das, obwohl die Politik explizit davor warnt?

Der DOSB schreibt auf Anfrage, man tausche sich seit rund einem Jahr mit vielen Akteuren zu Menschenrechtsfragen in China aus, von Nichtregierungsorganisationen bis zum Auswärtigen Amt: “Dabei kam es zu den unterschiedlichsten Empfehlungen, von der Aufforderung zu protestieren bis zur Warnung vor Meinungsäußerungen.” Entscheidend sei die Botschaft an die Athleten, “dass sich der DOSB grundsätzlich vor die Mitglieder des Team D stellen wird” – unter anderem mit einem eigenen Krisenreaktionsstab in Peking, einem Attaché mit diplomatischer Immunität und den Ressourcen des Auswärtigen Amtes in Berlin, sollte es zu Problemen kommen.

Aber hat man da überhaupt noch eine Wahl, sich zu äußern: wenn politische Kreise eine derartige Warnstufe ausrufen?

Als der deutsche Rodler Tobias Arlt im November vom Weltcup aus China zurückkehrte, sagte er dem BR: “Ein Statement da drüben zu setzen, würde ich mich nicht trauen.” Aus Angst.

Die Bedingungen vor Ort, oder: Ein bisschen ausgeliefert

Und mit dem Vertrauen in die Versprechen der Behörden, ins IOC ist das ist auch so eine Sache, die deutschen Snowboarder können einiges davon berichten. Als sich die Snowboardcrosser im November zum Weltcup auf der Olympiastrecke in Zhangjiakou aufmachten, wurde einer ihrer Fahrer am Flughafen rausgezogen: Corona-positiv. Was folgte, waren eineinhalb Tage, in denen “über das Ziel hinausgeschossen” wurde, sagt Andreas Scheid, der Sportdirektor des Verbands Snowboard Germany. Die Vorschriften sahen lediglich PCR-Abstriche vor, in Mund und Nase, tatsächlich kam es zu Blutabnahmen und Rektalabstrichen.

Scheid und seine Kollegen beschwerten sich, bei den Ausrichtern, der deutschen Botschaft, beim Weltverband Fis. “Dennoch hat es sehr lange gedauert, bis man durchgedrungen ist”, sagt Scheid, bis weitere Tests also ergaben, dass die erste Probe offenbar falsch-positiv war. Bis dahin sei man immer wieder besänftigt worden, “aber es wurde nie konkret oder transparent gesagt, was gerade eigentlich passiert”, erinnert sich Scheid. “Man hat sich schon ein bisschen ausgeliefert gefühlt. Das ist für mich auch das Schockierende an der Geschichte: die Unmöglichkeit, einem Menschen zu helfen.”

Olympia in China: Reizthema: China versucht kurz vor den Winterspielen, den Ausbruch der Omnikron-Variante mit Massentests und Lockdowns einzudämmen.

Reizthema: China versucht kurz vor den Winterspielen, den Ausbruch der Omnikron-Variante mit Massentests und Lockdowns einzudämmen.

(Foto: Kevin Frayer/Getty Images)

Thomas Bach, der deutsche IOC-Präsident, hatte zuletzt versprochen, dass bei den Spielen alles besser werde: keine Rektalabstriche, kein stundenlanges Warten im Shuttle, keine Kakerlaken im Quarantäne-Zimmer, wie es der Rodler Arlt nach einem Falsch-Positivtest erlebte. “Wir haben schon das Gefühl, dass Besserung eintritt”, sagt Andreas Scheid. “Aber es ist nun eben schon einmal passiert. Deshalb sind wir alle sehr, sehr wachgerüttelt und ein bisschen nervös.”

Und die Omikron-Variante, die öffne nun “Tür und Tor”, dass in Peking “unfassbare Dinge” passieren könnten, “dass mehrere Athleten oder Betreuer in Quarantäne gehen”: Infizierte seien derzeit ja kaum symptomatisch, man bleibe in Kontakt, so verbreite sich das Virus rasant. In diesem Schwebezustand auf Reisen geschickt zu werden, das ist es, was auch Scheid Kummer macht. Er sagt: “Das ist einfach gerade nicht vorhersehbar.”

In den Gremien der Fis, so wird berichtet, wisse man übrigens schon, dass die Vorschriften in China noch mal verschärft werden sollen: nicht nur in Millionenstädten, die gerade nach Omikron-Funden abgeriegelt werden, sondern auch für Athleten und Betreuer in der Olympiablase. Hubert Hörterer, der in der Fis das Medizin-Komitee leitet, lässt eine SZ-Anfrage unbeantwortet, ob er von neuen Maßnahmen wisse. “Alle Angelegenheiten Covid-19 betreffend” seien Sache des IOC, teilt er mit.

Das IOC schrieb auf Anfrage, es seien “derzeit” keine weiteren Maßnahmen geplant.

Die letzten Wettkämpfe, oder: Immer schön negativ bleiben

Bleibt die Frage, wie viele es überhaupt nach Peking schaffen. Die Eishockey-Gemeinde überraschte zuletzt mit der Ankündigung, dass das olympische Turnier ganz aus dem Plan fallen könnte – zu viele Corona-Fälle in den Ligen, zu viele Spielabsagen, die Profis aus der nordamerikanischen NHL hatten sich deshalb bereits entschuldigt. Am Donnerstag dann zarte Entwarnung: Der Weltverband teilte mit, das Turnier sei nicht gefährdet, derzeit zumindest.

Anderen Wintersportarten rinnen gerade die Wettkämpfe unter den Fingern weg, Weltcups der Kombinierer und Langläufer in Slowenien und Frankreich fielen aus, wegen hoher Inzidenzen, das raubt vielen Athleten die letzten Chancen, sich noch zu qualifizieren. Und wieder andere steuern erst auf ihre Höhepunkte zu, die Alpinen in Kitzbühel etwa – was es wiederum unmöglich macht, sich 14 Tage vor Abflug in die Selbstisolation zu zwängen, wie es das IOC empfiehlt. Die Frauen fahren am letzten Januar-Wochenende sogar noch einen Weltcup in Garmisch-Partenkirchen, und dass Kira Weidle, eine der größten deutschen Hoffnungen, dort nicht starte, sei gewiss “kein Thema”, sagt ihr Cheftrainer – jedes Rennen beeinflusst auch, ob man sich in Peking mit einer besseren oder schlechteren Startnummer ins Rennen schiebt.

Nur: Jeder Positivtest kurz vor den Spielen hätte einen weitaus größeren Effekt: das Olympia-Aus.

Der Olympische Geist, oder: Bitte leise jubeln!

Und wenn man es ganz lässt? Einen derartigen Bann könne man nicht pauschal über alle Athleten verhängen, sagte Wolfgang Maier zuletzt im Gespräch. Er könne aber jeden verstehen, der auf die Spiele verzichtet, hatte er schon im Herbst gesagt. Auch deshalb forderte er zuletzt, Politik und Sportverwalter dürften niemandem die Förderung entziehen, wenn dieser nicht zu den Spielen reisen wolle. Letztlich frage er sich: “Wenn man dort komplett isoliert wird, wenn man keine Kontakte haben soll, wenn man sich nicht einmal gemeinsam freuen darf, weil du nicht lauthals jubeln darfst – wo ist da der olympische Geist? Es soll doch ein Fest des Sports, es soll nationen- und völkerübergreifend sein.” Was bliebe von diesem Gedanken jetzt noch übrig?

.
source site