Neues aus der Münchner Galerieszene – München

Als im ersten landesweiten Corona-Lockdown auch die Galerien schließen mussten, verstärkten alle ihre Online-Präsenz, um die unsicheren Zeiten zu überstehen. Das Publikum nahm diese Angebote dankbar an, und viele regional operierende Galerien konnten feststellen, dass sie über die Online-Schiene plötzlich auch international wahrgenommen wurden. Obwohl vielen Akteuren das gesellschaftliche Drumherum und der Austausch vor Ort etwas abgingen, stand alsbald die Frage im Raum: Brauchen die Galerien noch Präsentationsräume, die doch mit erheblichen Kosten verbunden sind?

Heute, knapp drei Jahre später, steht fest: Die Galerie als Ort des Austauschs über und von Kunst scheint nicht totzukriegen zu sein. Und so herrscht – trotz einiger bereits vollzogener sowie angekündigter Abgänge – Aufbruchsstimmung unter den Galerien für zeitgenössische Kunst in München. Und es mag ein Zufall sein, aber alle neuen Akteure sind Frauen.

Neu eröffnet hat kurz vor Jahresende die Galerie Lohaus Sominsky. Die beiden Galeristinnen Ingrid Lohaus und Sofia Sominsky sind in jeder Hinsicht vom Fach: Kunsthistorikerinnen mit Galerieerfahrung. Lohaus war langjährige Direktorin der angesehenen Galerie Rüdiger Schöttle, wo auch Sominsky zuletzt tätig war. Beiden fiel nach eigener Aussage der Abschied von Schöttle nicht ganz leicht, man schätze dessen Programm, aber “für uns ist jetzt die Zeit für etwas Neues gekommen”, betonen beide. Nach neuen Perspektiven suchen sie in wunderbar lichten, großzügigen Galerieräumen in der Ottostraße 10 beim Maximiliansplatz.

Bestimmt ein gutes Omen für die neue Galerie Lohaus Sominsky: Karin Kneffels Interpretation von Michel Erharts keckem Knaben mit Weintrauben, der die Neugründung fast zu segnen scheint. Als Ikone der gotischen Bildschnitzerei steht die Originalskulptur im Bayerischen Nationalmuseum.

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Kunstmarkt: Mensch und Natur treffen in den Arbeiten von Melanie Siegel in einer konstruierten Lebenswelt aufeinander. Ihre Poollandschaft ist ebenfalls in der aktuellen Ausstellung von Lohaus Sominsky zu sehen.

Mensch und Natur treffen in den Arbeiten von Melanie Siegel in einer konstruierten Lebenswelt aufeinander. Ihre Poollandschaft ist ebenfalls in der aktuellen Ausstellung von Lohaus Sominsky zu sehen.

(Foto: Courtesy Galerie Lohaus Sominsky)

Ihren Neustart sehr befeuert hat die neue Location. “Wir haben die Räume durch Zufall gefunden und uns sofort in sie verliebt”, erzählt Lohaus. Auf den 200 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist noch bis 18. Februar die Show “Last Call – First Call” zu sehen. Kuratiert von der Malerin und Professorin Karin Kneffel, die kommenden Monat ihre Professur an der Kunstakademie beenden wird, sind eigene sowie Werke ihrer ehemaligen Meisterschülerinnen und -schüler zu sehen.

Den engen Kontakt mit Absolventen der Akademie wollen Lohaus und Sominsky pflegen, aber auch den internationalen Anschluss suchen. Das Galerieprogramm der nächsten Monate ist jedenfalls hochspannend: Da kommt der in Tel Aviv geborene, in Berlin lebende Künstler Ilit Azoulay – er bespielte 2022 den israelischen Pavillion auf der Biennale in Venedig. Danach ist die in München lebende aus Südkorea stammenden Künstlerin Jieun Park angekündigt, gefolgt von dem niederländischen, in Berlin beheimateten Konzeptkünstler Harm van den Dorpel, der für seine KI-basierten Werke bekannt ist.

Kunsthistorisch relevante Themen, die in der zeitgenössischen Kunst verhandelt werden, sollen das Programm kennzeichnen. Die beiden sprechen von “Recherche basierter Kunst”. Dazu sind Gespräche, Vorträge, Führungen und Lesungen geplant. Ingrid Lohaus und Sofia Sominsky wollen keinen reinen Präsentationsraum schaffen, sondern setzen auf den lebendigen Austausch.

Kunstmarkt: Sie will das Ludwig Space zu einem Schatzkästchen für Kunst machen: Dietlinde Behncke. Noch werden die Galerieräume renoviert, aber am 31. Januar geht's los.

Sie will das Ludwig Space zu einem Schatzkästchen für Kunst machen: Dietlinde Behncke. Noch werden die Galerieräume renoviert, aber am 31. Januar geht’s los.

(Foto: Catherina Hess)

Dieser Gedanke leitet auch die frühere Journalistin, Kulturmanagerin, Gründerin des Pin-Young-Circle, Kunstsammlerin und durch ihre “Munich Speech”-Reihe bekannte, leidenschaftliche Netzwerkerin Dietlinde Behncke. Ihren “Ludwig Space” in der Ludwigstraße 7 (gleich neben der Galerie von Sabine Knust) eröffnet sie am 31. Januar. Ihr Credo: “Spannende neue Positionen in den Kontext der Zeit stellen.”

Im Ludwig Space will Behncke in Erweiterung des Formats der Munich Speeches Gäste aus Kunst, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zu Gesprächen einladen. Bei ihrem Ausstellungsprogramm mit vorwiegend “jungen, stürmischen Positionen”, wie sie sagt, setzt sie auf die Achse Wien-München-Berlin-London. In der britischen Hauptstadt hat sie einst studiert und unterhält noch immer Kontakte. “Ich will die Young British Artists unserer Zeit nach München holen”, schwärmt sie.

Noch wird in dem Raum, der dank Hochgalerie über 75 Quadratmeter Ausstellungsfläche verfügt, renoviert. Bis Februar 2020 war dort die Fotogalerie f5,6, die nach 16 Jahren den Standtort aufgegeben hat. Behncke will den Space zu einem “kleinen Schatzkästchen für die Kunst” machen, und sie vibriert förmlich vor Energie: “Ich will das rocken!”

Kunstmarkt: Paulina Caspari kam zu Beginn der Pandemie in ihre Heimatstadt München zurück. Seither engagiert sie sich für die Kunst auf vielfältige Weise.

Paulina Caspari kam zu Beginn der Pandemie in ihre Heimatstadt München zurück. Seither engagiert sie sich für die Kunst auf vielfältige Weise.

(Foto: Sung-Hee Seewald)

Kunstmarkt: Den Kunstraum Beacon in der Liebherrstraße hat Paulina Caspari schon im Mai 2021 gegründet.

Den Kunstraum Beacon in der Liebherrstraße hat Paulina Caspari schon im Mai 2021 gegründet.

(Foto: Thomas Splett)

Kunstmarkt: Den neuen Kunstraum in der Augustenstraße hat Paulina Caspari vor einigen Wochen unter eigenem Namen eröffnet. Früher war dort ein Requisitenlager des Volkstheaters.

Den neuen Kunstraum in der Augustenstraße hat Paulina Caspari vor einigen Wochen unter eigenem Namen eröffnet. Früher war dort ein Requisitenlager des Volkstheaters.

(Foto: Thomas Splett)

Eher still hat Paulina Caspari vor einigen Wochen ihren neuen Space in der Augustenstraße 33a eröffnet, es ist ihr zweiter. Das ehemalige Requisitenlager des Volkstheaters bietet mit 160 Quadratmetern in einer Industriearchitektur Platz für größere Formate und Installationen. Und damit sei es eine “perfekte Ergänzung” zu ihrem ersten Kunstraum, dem Beacon, der seit Mai 2021 existiert. Diese Ein-Raum-Galerie mit nur 35 Quadratmetern befindet sich in einem denkmalgeschützten Haus in der Liebherrstraße 8.

Paulina Caspari setzt auf einen Mix aus etablierten, internationalen Namen und jungen Talenten. Wie bei Behnckes Ludwig Space stehen nicht die kommerziellen Interessen im Vordergrund. Aber das Beacon wird inzwischen regelmäßig bespielt. Caspari stammt aus einer Münchner Künstler-Familie, aus der der Grafiker und Karikaturist Walther Caspari (Simplizissimus) und der naturwissenschaftliche Illustrator Claus Caspari hervorgingen. Die studierte Kunsthistorikerin lebte zuletzt in Berlin und kam im ersten Lockdown zurück in ihre Heimatstadt, wo sie sich seither auch in der Kunstinitiative Various Others engagiert.

Various Others hat zwar Caspari gewonnen, wird aber auch einen Mitspieler verlieren, wenn Ende Januar der von Künstlern für Künstler betriebene Kunstraum Loggia in der Gabelsbergerstraße 26 nach fünf Jahren und 32 Ausstellungen schließt. Er wurde 2017 von Yves-Michele Saß und Stefan Fuchs gegründet, die sich nun endgültig in Richtung Wien verabschieden, wo sie schon seit einiger Zeit einen weiteren Space unterhalten.

Und wo wir bei Abschieden sind: Nach dem Tod von Edith Rieder im August 2022 wird die Galerie Rieder, die seit 1984 in der Maximilianstraße ansässig und eine der Institutionen in München war, im Februar die Pforten schließen.

Kunstmarkt: Alexander Caspari (Encounter), Tim Geissler und Carolina Trigueiros (beide Jahn und Jahn) im Garten der Galerie in Lissabon (von links).

Alexander Caspari (Encounter), Tim Geissler und Carolina Trigueiros (beide Jahn und Jahn) im Garten der Galerie in Lissabon (von links).

(Foto: Jahn und Jahn und Encounter, 2022)

Kunstmarkt: Hauseingang der Galerien Jahn und Jahn und Encounter in Lissabon, Rua de São Bernardo 15.

Hauseingang der Galerien Jahn und Jahn und Encounter in Lissabon, Rua de São Bernardo 15.

(Foto: Photodocumenta, courtesy of Encounter & Jahn und Jahn)

Kunstmarkt: Ein Blick in die Ausstellung von Hedwig Eberle ("High Noon") bei Jahn und Jahn in Lissabon.

Ein Blick in die Ausstellung von Hedwig Eberle (“High Noon”) bei Jahn und Jahn in Lissabon.

(Foto: Vasco Stocker Vilhena, courtesy of Jahn und Jahn)

Derweil gibt es auch Expansionen von Münchner Galeristen zu vermelden: Jahn und Jahn haben zusammen mit dem seit 2014 bestehenden Projektraum Encounter aus London vergangenen September in Lissabon eine neue Galerie eröffnet. Die umgebaute bürgerliche Wohnung aus dem 19. Jahrhundert in der Rua de São Bernardo 15 nahe dem Estrela Park beherbergt auf 360 Quadratmetern sechs Ausstellungsräume, zwei kleine Projekträume sowie einen Skulpturengarten.

Schon länger habe man über eine europäische Dependance nachgedacht, so Tim Geissler von Jahn und Jahn. Lissabon sei perfekt, die Kunstszene noch nicht international übersättigt wie in anderen Städten, aber sehr lebendig. Das junge, internationale Publikum habe die Galerie bei der Eröffnung förmlich überrannt, erzählt Geissler: 500 Gäste wollten dabei sein. Für den Andrang sorgten neben dem eigenen Netzwerk auch das von Alexander Caspari (nicht verwandt mit Paulina Caspari) von Encounter sowie das der portugiesischen Galeriedirektorin Carolina Trigueiros. Das eigene Programm spiegele das in München wider – “aber plus, plus …”, so Geissler.

Kunstmarkt: Der Münchner Galerist Max Goelitz.

Der Münchner Galerist Max Goelitz.

(Foto: Fritz Beck/Courtesy of Max Goelitz)

Kunstmarkt: Die neue Galerie von Max Goelitz in der Rudi-Dutschke-Str. 26 in Berlin-Kreuzberg.

Die neue Galerie von Max Goelitz in der Rudi-Dutschke-Str. 26 in Berlin-Kreuzberg.

(Foto: Dirk Tacke)

Kunstmarkt: Installationsansichten von "Energy Power" von Haroon Mirza in der neuen Galerie von Max Goelitz in Berlin.

Installationsansichten von “Energy Power” von Haroon Mirza in der neuen Galerie von Max Goelitz in Berlin.

(Foto: Dirk Tacke)

Und noch einer hat es gewagt, eine zweite Dependance aufzumachen: Max Goelitz, der erst im Frühjahr 2020, mitten im ersten Corona-Lockdown, die Räume von Häusler Contemporary seitlich der Münchner Maximilianstraße übernahm, hat sich vergangenen November zusätzlich in Berlin angesiedelt. “Aber”, wehrt er sofort ab, “ich werde München nicht untreu. Im Gegenteil!” Er sehe den Berliner Standort als Erweiterung. Während er in München gut 100 Quadratmeter in einem typischen White-Cube bespielt, stehen ihm in der Rudi-Dutschke-Straße 26 in Berlin-Kreuzberg 160 Quadratmeter große, hohe Räume in einem Industriegebäude von 1914 zur Verfügung, dessen Atmosphäre auch Sternekoch Tim Raue zu schätzen weiß. Schon mit der Eröffnungsausstellung – eine raumgreifende Installation des britisch-pakistanischen Künstlers Haroon Mirza – nutzt er die neuen Möglichkeiten.

Wie Tim Geissler von Jahn und Jahn im Hinblick auf Lissabon hebt auch Max Goelitz das jüngere und internationalere Publikum in Berlin hervor. Galerien, so der Tenor bei allen, sind kein Auslaufmodell. Online-Präsenz sei wichtig, aber eben vor allem ergänzend. Und wie wichtig ihnen der Standort München ist, werden gerade die jüngeren Galeristen nicht müde zu betonen. Es scheint, sie alle wollen mehr, als München geben kann, aber sie wissen auch, was ihnen München zu bieten hat.

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