Neu in Kino und Streaming: Welche Filme sich lohnen und welche nicht – Kultur

Catch the Fair One – Von der Beute zum Raubtier

Sofia Glasl: Ein beachtliches Schauspieldebüt gibt die amerikanische Boxweltmeisterin Kali Reis in diesem Film, für den sie gemeinsam mit Regisseur Josef Kubota Wladyka das Drehbuch schrieb. Reis spielt darin ebenfalls eine Boxerin, Spitzname KO, doch Motor der Story ist ein grimmiger Rachefeldzug gegen Frauenhändler, die ihre Schwester verschleppt haben. Das beginnt als kluge Reflexion auf die Verknüpfung von Rassismus, Zwangsprostitution und behördlichem Desinteresse. Allerdings eskaliert der Film dann leider viel zu früh in einem unnötig brutalen Vergeltungsrausch und verschenkt so den ehrgeizigen Spannungsbogen.

Caveman

Josef Grübl: Mehr als 30 Jahre nach ihrer Bühnenpremiere hat es die One-Man-Show des US-Comedians Rob Becker ins Kino geschafft, ausgerechnet als deutsche Beziehungskomödie mit Starbesetzung. Unter der Regie von Laura Lackmann ist die Geschichte des Höhlenmanns von heute nicht unbedingt subtiler geworden, es geht um gefühlsarme Männer und redende Frauen, um Steinzeitrituale, Schuhe und Shopping. Die Komik kommt also eher mit der Keule daher, sie speist sich aus Machogehabe und Misogynie.

Close

Juliane Liebert: Das Coming-of-Age-Drama des belgischen Regisseurs Lukas Dhont ist ein Film, in den man am besten geht, ohne vorher mehr zu wissen, als dass es um die Freundschaft zweier Dreizehnjähriger geht, um Intimität, Vertrautheit, Verlust und Erwachsenwerden. Ein ungewöhnliches, besonderes Werk.

Die Divas

Doris Kuhn: Drei 20-jährige Ungarinnen holen ihren Schulabschluss an einem Gymnasium für Problemschüler nach. In der Klasse heißen sie “Divas”, da sie nur makellos gestylt auftreten. Máté Körösi rückt ihnen mit der Kamera eng auf die Pelle, er dringt durch die glatte Fassade vor bis zu all dem, womit junge Frauen überall sich so schwertun: das schwankende Selbstwertgefühl, die Erwartungen der Familie, die Fallen des Nachtlebens. Entsprechend düster wird die Dokumentation teilweise, dafür bekommt man einen ungeheuer authentischen Mitschnitt von Leben und Freundschaft.

Kalle Kosmonaut

Philipp Bovermann: Er habe Träume, sagt Kalle, “aber die gehen immer schlecht aus. Entweder für mich oder für andere”. Tine Kugler und Günther Kurth folgen dem jungen Mann zehn Jahre lang, von seiner Kindheit in einem Berliner Plattenbau, wo die Erwachsenen arbeitslos zu Hause sitzen und sich Zigaretten stopfen, über eine Jugendhaftstrafe bis zum Beginn des Erwachsenenalters. Die dokumentarische Langzeitbeobachtung zeigt eine verletzliche Seele, um die sich allmählich ein immer härterer Panzer schließt, irgendwann fängt der Junge an, das “ch” als “sch” auszusprechen und zu rappen. In diese Welt taucht der Film ein, ohne Ghettoromantik, neugierig auf den Menschen, der es spürbar genießt, diesen Raum zu haben – dass jemand ihm zuhört. Was ziemlich rührend und toll ist.

Midwives

Kathleen Hildebrand: Im Westen Myanmars arbeiten zwei Frauen in einem improvisierten Krankenhaus zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben dürften: Die patente Hla ist Buddhistin, wie die Mehrheit. Nyo Nyo ist Muslimin und träumt von einem besseren Leben, das aufzubauen ihr schwer gemacht wird: Sie gehört der verfolgten Minderheit der Rohingya an. Die Regisseurin “Snow” Hnin Ei Hlaing stammt selbst aus Myanmar und wirft einen intimen Blick in eine Dorfgemeinschaft, deren Fähigkeit zum friedlichen Zusammenleben schon weit erodiert ist – doch diese zwei zupackenden Frauen machen Hoffnung.

Petrov’s Flu – Petrow hat Fieber

Annett Scheffel: Der neue Film des russischen Regimekritikers, Theater- und Filmregisseurs Kirill Serebrennikov ist ein schwarzhumoriges Labyrinth der Absurditäten. Eine von Grippe geplagte Familie irrt darin durch befremdliche postsowjetische Albtraum-Stadtlandschaften. Der Vater streift halluzinierend durch die Nacht, die Mutter verwandelt sich zwischendurch in eine männermordende Superschurkin. Aber was hier Realität ist und was Fiebertraum, ist nie ganz klar. Die Erzählstruktur ist kühn, die Bildsprache fantasievoll. Ein Film wie ein dunkles, wunderbar seltsames Ungeheuer mit viel Schweiß und Wodka, Blut und Dreck.

Return to Seoul

Anna Steinbauer: Sensibles Drama über eine junge Französin südkoreanischer Herkunft, die nach Seoul reist, um mehr über ihre Adoption zu erfahren und ihre leiblichen Eltern kennenzulernen. Der französisch-kambodschanische Regisseur Davy Chou schickt seine Protagonistin auf eine emotionale Identitätssuche, die sich ihren Weg durch die Jammertiraden des Vaters bahnen muss, durch die Abweisung durch die Mutter, durch fremde Sprache und eine unbekannte Kultur. Dem Regisseur gelingt ein nuancierter und wenig klischeebehafteter Umgang mit dem Thema Adoption.

Sharaf

Anke Sterneborg: Ein junger Mann wird auf einer ägyptischen Polizeiwache verhört, der Polizist ermittelt nicht, sondern weiß schon, was er hören möchte, ein Schuldeingeständnis, das er mit Elektroschocks und Androhung von Gewalt gegen Familienmitglieder forciert. Danach wird das Gefängnis mit seinem System von Willkür, Korruption und Ausbeutung zum Mikrokosmos arabischer Autokratien im Allgemeinen und der ägyptischen Gesellschaft nach dem Sturz Mubaraks im Besondern. In der Verfilmung eines Romans, in dem der bekannte Schriftsteller Sonallah Ibrahim seine eigenen Gefängniserfahrungen verarbeitet hat, hält der deutsch-ägyptische Regisseur Samir Nasr seiner Heimat aus der Ferne den Spiegel vor, in einer Parabel, die in acht Kapiteln künstlich konstruiert und trotzdem immer wieder bestürzend wirkt.

The Son

Annett Scheffel: Hugh Jackman spielt einen erfolgreichen New Yorker Anwalt, der sich um seinen Sohn kümmern soll: ein Scheidungskind aus erster Ehe, 17 Jahre alt, schwer depressiv und vom Leben überfordert. Der Plot ist simpel konstruiert. Mehr als der zunehmend verzweifelte Kampf der Eltern passiert eigentlich nicht. Der zweite Spielfilm von Florian Zeller ist inszenatorisch weniger bemerkenswert als “The Father”. Dafür taucht der französische Dramatiker tief in die komplexen Gefühle und Untertöne ein. Die Enge, die Hilflosigkeit, die Wut. Und vor allem die Ungreifbarkeit der Krankheit. All das zieht mit dunkler Kraft am Zuschauer, was nicht nur an Jackmans oscarverdächtiger Darstellung, sondern am ganzen Ensemble liegt.

Till – Kampf um die Wahrheit

Fritz Göttler: Der Sarg bleibt offen, entscheidet Mamie Till, jeder soll sehen, was sie ihrem geliebten Sohn Emmett, 14 Jahre alt, angetan haben. Es ist Sommer 1955, Emmett war über die Ferien beim Onkel in einer kleinen Stadt in Mississippi. In einem Laden hat er Süßigkeiten gekauft und einer Frau aufgekratzt nachgepfiffen. Emmett ist Afroamerikaner. Ein paar Tage später holt der Mann der angepfiffenen Frau Emmett in der Nacht, der Junge wird geschunden, erschossen, seine Leiche soll im Fluss verschwinden. Mamie verwandelt ihren Schmerz, ihre schreckliche Leere in kämpferische Energie für die Bürgerrechtsbewegung. Chinonye Chukwu erzählt einen wahren Fall, als eine beklemmende Studie der amerikanischen Zerrissenheit – Mamie lebt in Chicago, eine moderne Frau mit attraktiven Kostümen und Ohrringen, einem Sekretärinnenjob, ein bisschen überdreht als Mutter. Im Rest Amerikas dominieren weiter die hemdsärmeligen stumpfen weißen Männer.

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