München: Warum die reichen Münchner vor 625 Jahren den Aufstand proben – München

Es ist ein blutiges Spektakel, das die Gaffer Anfang November des Jahres 1400 auf dem Marktplatz der Stadt München erwartet. Vor dem Scharfrichter stehen drei angesehene und wohlhabende Bürger: der Gastwirt Konrad Triener, Mitglied des Inneren Rats, der Wirt Thomas Haidfolk, Mitglied des Äußeren Rats, und der Salz-Fuhrunternehmer Ulrich Strohmayer. Den drei Männern war die Teilnahme an einer Verschwörung vorgeworfen worden, woraufhin sie Stadtoberrichter Jörg Öttlinger zum Tod durch das Schwert verurteilte.

Nun also wird das Urteil vollstreckt, Scharfrichter Hanssen steht bereit. Wer zuerst stirbt und wie geschickt Hanssen das Schwert führt, ist nicht überliefert. Nur das Honorar des Henkers ist bekannt, man kann es in der städtischen Kammerrechnung nachlesen: “Item 12 ß 26 d. hab wir geben maister Hanssen, daz er dem Haidfolk, dem Triener und dem Stromer die haubt absluog.” Das heißt: Der Henkerslohn betrug zwölf Schillinge und 26 Pfennige.

Die mittelalterlichen Scharfrichter hatten etliche Methoden, den Verurteilten das Leben zu nehmen. Delinquenten, denen man besonders ruchlose Taten vorwarf, wurden die Glieder zerstoßen und ans Rad geflochten, andere starben auf dem Scheiterhaufen, am Galgen oder wurden ertränkt. In der Strafe sollte sich das Verbrechen gewissermaßen spiegeln. “Das Richten mit dem Schwert, Enthaupten oder Köpfen, galt als ‘ehrliche’ Todesstrafe”, schreibt der Historiker Michael Schattenhofer. Damit strafte man Verbrecher, deren Taten das Gericht als nicht heimtückisch wertete. So auch im Prozess gegen Triener, Haidfolk und Strohmayer: Offenbar schreckte der Richter davor zurück, drei städtische Honoratioren wie Diebe an den Galgen hängen zu lassen.

Der Fall hatte politische Hintergründe, er war ein blutiger Exzess innerhalb eines Machtkampfes, der sechs Jahre lang in München tobte. Der Konflikt führte zu kriegerischen Auseinandersetzungen, geachtete Familien wurden aus der Stadt verbannt, hochgestellte Persönlichkeiten aus ihren Ämtern verjagt, Vermögen eingezogen, Intrigen und Verschwörungen angezettelt. Beteiligt waren die im Inneren und Äußeren Rat vertretenen Patrizier ebenso wie politisch weniger einflussreiche Bürgerfamilien, dazu Parteigänger aus unteren Schichten. In diesem ohnehin schon explosiven Interessengemenge mischten dann auch noch die Wittelsbacher Herzöge mit, die ihre Erbstreitigkeiten mit dem Kampf um München verquickten.

In anderen Städten kämpfen Handwerker um die Macht – in München die Wohlhabenden

Die heiße Phase der Revolte begann vor 625 Jahren, im April 1397. Hinter dieses Datum schreibt der Stadtchronist den Satz: “Die Gemein erhebt sich gegen den amtierenden Stadtrat.” Redner aus dem Rat der Dreihundert, dem Vertretungsorgan aller Einwohner mit Bürgerrecht – genannt “Gmain” oder Gemeinde -, äußern Zweifel an der Richtigkeit der städtischen Steuerabrechnung. Man fordert deren Überprüfung, und weil man dem Kämmerer und der Obrigkeit misstraut, sollen Vertreter der Gemeinde bei der Kontrolle dabei sein. Überhaupt beansprucht die Gmain mehr Mitsprache in der Stadtpolitik.

Dagegen sträuben sich zunächst die Mitglieder des Inneren und Äußeren Rats, die – neben dem herzoglichen Hof – das eigentliche Machtzentrum bilden. In den beiden Gremien sind seit je die schwerreichen Handelsfamilien vertreten, die das Münchner Patriziat verkörpern. Die zögerliche Haltung des Rats stachelt die Empörung der Bürgerschaft nur noch weiter an. Schließlich wird eine Kommission zur Überprüfung der Kammerrechnungen eingesetzt, an der auch die Gemeinde beteiligt ist. Ruhe kehrt dennoch nicht ein, im Gegenteil. Der Aufruhr geht erst richtig los.

Um die komplizierten Vorgänge zu verstehen, ist ein Blick auf die Vorgeschichte erforderlich. Dabei wird sichtbar, dass es im 14. Jahrhundert in vielen Städten brodelte. So schreibt die Historikerin Christine Rädlinger auf der Webseite des Historischen Lexikon Bayerns: “Die Münchner Unruhen von 1397 bis 1403 stehen in einer Reihe spätmittelalterlicher, innerstädtischer Unruhen, die derzeit unter dem Oberbegriff ‘Revolten’ zu finden sind oder auch, enger gefasst, als ‘städtische Bürgerkämpfe’ bezeichnet werden.” In München begannen die Auseinandersetzungen später als etwa in Nürnberg, Regensburg oder Augsburg, auch handelte es sich an der Isar nicht um den Versuch einer Machtübernahme durch in Zünften organisierte Handwerker. Hauptbeteiligte, fügt Rädlinger hinzu, waren “wohlhabende Bürger, die neben oder anstelle des Rates der Stadt einen Anteil am Stadtregiment zu erreichen suchten”.

Näheres zur Vorgeschichte findet sich in Rädlingers Beitrag zum Buch “Geschichte der Stadt München”, herausgegeben vom ehemaligen Leiter des Stadtarchivs Richard Bauer. Demnach verschlechterten sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts fast überall in Europa die Lebensumstände der Menschen infolge der Kleinen Eiszeit, in der die Winter strenger und die Sommer kürzer wurden, was zu Missernten und Hungersnöten führte. Auch die Münchner bekamen die Krise zu spüren, umso mehr, als die Stadt mehrmals von der Pest heimgesucht wurde. Deren Ausbruch legte man 1349 mittels abstruser Verschwörungsmythen den Juden zur Last, woraufhin der aufgehetzte Mob ein Massaker an den jüdischen Einwohnern Münchens verübte. Wer überlebte, wurde aus der Stadt gejagt.

Die Revolte vermengt sich mit dem Erbstreit der Wittelsbacher

Wirtschaftlich ging es bergab, auch die Stadtkasse leerte sich zusehends, zumal die Landesherren, die Wittelsbacher Herzöge, immer höhere finanzielle Beiträge für ihre Hofhaltung und Kriege einforderten. Die städtischen Einkünfte aus dem Salzhandel sowie die Steuereinnahmen reichten nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. So kam es bereits 1377 zu einem ersten Konflikt zwischen dem Rat und der Gemeinde, die mehr Mitsprache in der Finanzpolitik forderte und zudem die Rechtsprechung des Stadtrichters kritisierte. In Verhandlungen unter Vorsitz des Herzogs gelang es der Gemeinde, eine größere Mitsprache bei der Steuererhebung, der Finanzverwaltung und der Wahl des Stadtrichters zu erreichen. Wer das Amt des Richters bekleidete, entschied aber nach wie vor der Hof; die Stadt hatte lediglich ein Vorschlagsrecht.

Die Zwistigkeiten der Bürgerschaft spielten sich vor dem Hintergrund der Gebietskämpfe ab, in welche die Herrscherfamilie verstrickt war. Hatte Kaiser Ludwig IV., “der Bayer”, der wittelsbachischen Dynastie sowie seiner Residenzstadt München noch zu weitreichendem Renommee verholfen, so verblasste dieses nach dem Tod Ludwigs 1347 und dem Verlust der Kaiserwürde innerhalb kurzer Zeit. Die weit über die Stammlande hinausreichenden Territorien wurden unter den Söhnen aufgeteilt, manche Gebiete gingen verloren, andere wurden zeitweise wiedervereinigt, und als Herzog Stephan II., der mehrere Landesteile an sich gebracht hatte, im Jahr 1375 starb, kam es nach einem Intermezzo der Einigkeit 1392 zur abermaligen Teilung unter dessen Söhnen.

Friedrich erhielt das Herzogtum Bayern-Landshut, Stephan III. bekam Oberbayern-Ingolstadt und Johann II. ergatterte Oberbayern-München. Frieden aber kehrte nicht ein. Vor allem die Ingolstädter und die Münchner Herzöge setzten ihre territorialen Streitigkeiten fort. Die hartnäckigsten Unruhestifter waren Stephan, genannt “Der Kneißel”, und sein Sohn Ludwig “im Bart”, die beklagten, bei der Landesteilung übertölpelt worden zu sein. Um ihre Forderungen durchzusetzen, schreckten sie auch vor Gewalt nicht zurück. Zwischen den Münchnern und den Ingolstädtern Herzögen kam es zu blutigen Scharmützeln, in deren Verlauf keiner als klarer Sieger hervorging.

Die Umstürzler kommen aus dem städtischen Establishment

Als Johann 1397 stirbt, beansprucht Stephan auch München für sich. Die “Neuveste”, die den Alten Hof als Stadtresidenz ablösen soll, will er als Regierungssitz haben. Für Johanns Söhne, Herzog Ernst und dessen Bruder Wilhelm III., sind derlei Forderungen natürlich inakzeptabel. Zu allem Überfluss fällt der Zwist der Herzöge in die Zeit, in der die Zänkereien zwischen dem Münchner Rat und der Gemeinde an Schärfe zunehmen. Der Versuch der Ratspartei, die Verhandlungen zu verschleppen, heizt die Stimmung an, die Aufständischen gehen in die Offensive. Im April 1398 verzeichnet die Stadtchronik: “Ein Volksauflauf der Münchner Partei unter Ulrich dem jüngeren Tichtl spielt letzterem die Macht in der Stadt in die Hände. Die Gemein kommt nach dem Essen auf dem Rathaus zusammen und macht großes Geschrei. Sie nimmt eine drohende Haltung gegen den Rat ein. Einer verlangt sogar, dass der ganze Stadtrat geköpft werden solle.”

Der als Kopf der Revolte genannte Ulrich Tichtl ist Mitglied im Inneren Rat, die vermögende Patrizierfamilie Tichtl gehört zu den vornehmsten der Stadt. Sein Beispiel zeigt, dass die Umstürzler auch aus den Reihen des städtischen Establishments kommen. Zu ihnen zählen wichtige Männer des Großen Rats wie Andre Tichtl, Wilhelm Jörgner oder der Stadtschreiber Liendl Lang, dazu auch einige wohlhabende Brauer, Bäcker und Metzger. Die Forderung nach mehr Einfluss geht im Wesentlichen also nicht von den ärmeren Schichten aus, sondern von gut betuchten und prominenten Bürgern. Die Aufständischen verbünden sich mit Herzog Stephan, der seinerseits hofft, durch das Bündnis Vorteile im Streit mit Ernst und Wilhelm zu erlangen.

Auch der einflussreiche Ratsherr und zeitweilige Bürgermeister Jörg Katzmair gerät in die Schusslinie des Aufstands und flieht – hier dessen Statue im Münchner Rathaus.

(Foto: Andreas Heddergott)

Auf der Gegenseite stehen Männer wie der einflussreiche Ratsherr und zeitweilige Bürgermeister Jörg Katzmair, dessen zeitgenössischer Bericht eine der wichtigsten historischen Quellen zur Rekonstruktion der Ereignisse ist. Doch die Vertreter der alten Ordnung haben zu dieser Zeit schlechte Karten. Die Gmain besitzt das bessere Blatt und fühlt sich stark genug, Herzog Ernst die Huldigungen zu verweigern, weil er städtische Privilegien wie das Recht der Ein- und Ausbürgerung nicht anerkennen will. Auch Katzmair gerät in die Schusslinie. Als Gerüchte die Runde machen, er sei bereits Gefangener im Turm, flieht er aus der Stadt. Sein gesamtes Hab und Gut wird beschlagnahmt. Überdies erzwingen die Aufständischen die Herausgabe von Stadtschlüssel, Sturmglocke und Stadtbanner. Fürs Erste ist der Umsturz geglückt.

Katzmair und andere Exilierte der alten Führungsriege suchen Unterschlupf bei Herzog Ernst, der aber seinerseits in Bedrängnis ist. Ende August 1398 erklärt er der Stadt München wegen der Verweigerung des Treueeids den Krieg, woraufhin der Bürgermeister und der neue Rat einen Beistandspakt mit den Ingolstädtern schließen. Es kommt zu kleineren Gefechten, so bei Pfaffenhofen an der Ilm und Dachau.

Nach sechs Jahren schlägt die Streitmacht der Herzöge den Aufstand nieder

Auch in der Stadt bleibt die Lage angespannt. Der neue Rat, schreibt Historikerin Rädlinger, hat “spätestens ab 1399 einen schweren Stand”. Zwar hat man die Kasse mit dem enteigneten Vermögen der geflüchteten Familien gefüllt, aber der Zuwachs reicht nicht, das riesige Defizit zu decken. Möglicherweise ermutigt durch die wachsende Unzufriedenheit versuchen Triener, Haidfolk, Strohmayer und andere, Kräfte zu mobilisieren, um das neue Stadtregime zu stürzen. Die Verschwörung wird entdeckt, was den drei Männern den Kopf kostet.

Im Februar 1403 erscheint die Streitmacht der Herzöge Ernst und Wilhelm vor den Toren Münchens – ein Desaster für die Aufständischen, zumal sich die Ingolstädter Verbündeten aus dem Staub gemacht haben. Die Belagerer graben der Stadt das Wasser ab und brennen Häuser, Stadl und Mühlen entlang der Stadtmauer nieder. Im Mai geben die Eingeschlossenen auf, die Tore werden geöffnet. Ernst und Wilhelm ziehen als Sieger ein. Auch die vertriebenen Ratsherren kehren zurück und bilden einen neuen Rat. Als man Kassensturz macht, kommt ein erhebliches Defizit zum Vorschein. Dies zu mindern, bürdet der Rat den Aufrührern auf. Ulrich Tichtl muss die gewaltige Summe von 5000 Gulden berappen. Die einflussreichsten Männer der geschlagenen Bürgerpartei jagt man aus der Stadt, ihr Vermögen wird konfisziert.

Der Versuch, eine breitere Beteiligung der Bürgerschaft an den Entscheidungen über städtische Angelegenheiten zu erreichen, ist gescheitert. Es dauert einige Jahrzehnte, bis sich München von den wirtschaftlichen und politischen Krisen des 14. Jahrhunderts erholt. Um 1450 geht es wieder bergauf und es beginnt eine Blütezeit der Münchner Kunst, deren sichtbarste Zeichen das städtische Tanzhaus, also das heutige Alte Rathaus, und die Frauenkirche sind.

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