Lawrow in Afrika: Wie der Kreml den Kontinent an sich bindet

Bei seiner Reise durch Afrika mimt Russlands Außenminister Sergej Lawrow den netten weißen Mann, während er den Westen als bösen weißen Ausbeuter darstellt. Lawrows Klinkenputzerei ist der Versuch des Kremls, sich trotz Isolation als internationale Großmacht zu verkaufen.

Sergej Lawrow ist auf großer Palast-Tour. Seit dem 24. und bis zum 28. Juli besucht der russische Außenminister vier afrikanische Staaten: Ägypten, Äthiopien, Uganda und die Republik Kongo. Mit im Gepäck hat Putins Chefunterhändler nicht nur jede Menge warme Worte, sondern auch einen bunten Strauß Lügenmärchen. Lawrows Dienstanweisung ist klar: den Westen diskreditieren, indem er ihn für die Nahrungs- und Treibstoffkrise auf dem Kontinent verantwortlich macht und gleichzeitig Moskau als einzig sinnvolle Schulter anbieten.

Lawrow soll den Schein erwecken, dass Russland trotz Isolation weiterhin eine Großmacht ist, mit der es zu rechnen gilt und im Vorfeld des nächsten Afrika-Russland Gipfels gute Laune verbreiten. Und Afrika? Da weiß man auch fast ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn noch immer nicht recht, wohin mit der Loyalität. Zwar hat sich hier bisher kein Staat den westlichen Sanktionen angeschlossen. Russland öffentlich anzuklagen ist aber genauso wenig drin, solange die Menschen essen und die Mächtigen mächtig bleiben wollen.

Lawrow macht Westen für Hunger in Afrika verantwortlich

Auf dem Kontinent kocht man vorzugsweise ukrainisch und russisch – buchstäblich. Denn das Leben der Menschen ist schlicht abhängig von den Getreidelieferungen. Daten der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz zufolge importieren Länder wie Ägypten und der Sudan 2020 mehr als drei Viertel, Somalia und Benin gar 100 Prozent ihres Weizens aus den beiden Ländern, die seit Februar Konfliktparteien sind. Diese Abhängigkeit erklärt auch, warum sich auf der UN-Resolution kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine fast die Hälfte der afrikanischen Nationen nicht gegen die russische Invasion ausgesprochen und das auch nie korrigiert hat. 20 Millionen Tonnen Getreide stauen sich in Häfen am Schwarzen Meer. Passenderweise unterzeichnete Russland kurz vor Lawrows Abreise ein Abkommen, das eine unbehelligte Ausfuhr der Lebensmittel garantieren soll.



Ukraine-Russland-Krieg: Ein Soldat der Ukraine sitzt in Kramatorsk auf einem Panzer

Dass der Kreml Hunger mindestens als Werkzeug, wenn nicht gar als Waffe einsetzt, um die Ukraine und damit den Westen zu erpressen, liegt auf der Hand. Freilich ist das nicht die Version aus Lawrows Märchenbuch. “Die Spekulationen der westlichen und der ukrainischen Propaganda dazu, dass Russland angeblich den Hunger exportiert, sind absolut bodenlos”, schrieb Lawrow vor seiner Abreise in einem Beitrag für das russische Außenministerium. Es handele sich um einen neuen Versuch des Westens, Russland die Verantwortung für seine “Kopfschmerzen” zuzuschieben. Der Artikel erschien in den Zeitungen aller Reiseziele.

Moskau geht es um die Machthaber, nicht um die Menschen

Nach Außen verkauft Lawrow die vermeintlich friedfertigen, gar humanitären Absichten des Putin-Regimes. Die Botschaft: “Seht ihr, wer für euch da ist, wenn der Westen euch mal wieder im Stich lässt!” Doch aus Kreml-Sicht war Russlands wichtigster Export in der Vergangenheit nicht Getreide oder Technologie, sondern Chaos. Wie das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch mitteilte, hat Russland seit 2014 mithilfe der berüchtigten Söldnertruppe Wagner erhebliche Anstrengungen unternommen, um sich Einfluss in Afrika zu sichern. In mehr als einem halben Dutzend afrikanischer Staaten sorgt Wagner für “politische Stabilität”, unter anderem in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik. Durch den (nebenbei sehr lukrativen) Einsatz privater Militärunternehmen und Waffenexporte trägt der Kreml letztendlich zur Instabilität auf dem Kontinent bei. Diese Unbeständigkeit wiederum bindet die in der Regel totalitären Regierungen an Moskau. Kurzum: Frieden in Afrika ist für Russland geschäftsschädigend.

“Historische Präzedenzfälle zeigen, dass Nahrungsmittelknappheit in Afrika zwar selten die alleinige Ursache für soziale Unruhen ist, aber sehr oft zu politischen Umwälzungen beiträgt”, analysiert das US-Magazin “The Atlantic”. Der Arabische Frühling ist das beste Beispiel dafür. Dass nichts ihrer Macht so gefährlich werden kann wie eine hungernde Bevölkerung, das wissen und fürchten die afrikanischen Machthaber. Und genau deren “Freundschaft” liegt Moskau am Herzen. Und so ist es nicht Lawrows Mission, die afrikanischen Völker von der russischen Unschuld an der “Situation” in der Ukraine zu überzeugen, sondern den Staatslenkern zuckersüß klarzumachen, dass sie nur in der Umarmung Moskaus ihre Macht halten können.

“Lawrows Reise nach Afrika ist kein isoliertes Ereignis. Sie ist Teil eines laufenden Tanzes. Moskau versucht, Einfluss auf dem Kontinent zu gewinnen, ohne in ihn zu investieren”, bringt es das australische Nachrichtennetzwerk “The Conversation” auf den Punkt. Zwar gibt sich Lawrow bei seiner Tour alle Mühe, Mütterchen Russland als Heilsbringerin zu vermarkten. Die Wahrheit sieht jedoch anders aus. Wie das US-amerikanische Investmentmagazin “fDi Intelligence” berichtet, stammt weniger als ein Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Afrika aus Russland. Russland braucht Afrika weit mehr als Afrika Russland. Das zu verschleiern, gar umzukehren, das ist die entscheidende Aufgabe von Putins Chefdiplomat.

Was sich die Gesprächspartner voneinander versprechen

Lawrows Reiseziele sind natürlich nicht zufällig gewählt. Auf seiner Tour schlägt der Kreml-Abgesandte in Ländern auf, deren Regierungen mit politischen Unruhen, teils sogar mit blutigen Bürgerkriegen zu kämpfen haben. Und so geht es Moskau vielmehr um einen Schulterschluss von Autokraten, denn um das Hegen und Pflegen klassischer bilaterale Beziehungen.

Doch warum genau diese Stationen? Und was haben Lawrows Gastgeber davon, ihm den roten Teppich auszurollen?

  • Ägypten: Präsident Abdel Fattah Al-Sisi ist ein wichtiger Verbündeter Russlands, wenn es darum geht, eine kremlfreundliche Stellvertreterregierung in Libyen zu installieren. Das wiederum dürfte es Russland laut “Conversation” ermöglichen, eine dauerhafte Marinepräsenz im Mittelmeer zu installieren. Auch im Sudan und in Tunesien war Al-Sisi für Putin nützlich, indem er dabei half, einen demokratischen Wandel zu unterdrücken. Ägypten ist zudem besonders abhängig vom Getreideimport: 2020 stammten 85 Prozent des Getreides aus Russland (61 Prozent) und der Ukraine (24 Prozent).
  • Uganda: In Ostafrika wittert Moskau die Gelegenheit einen Staat an seine Seite zu ziehen, der sich bislang stets gen Westen orientierte, dessen Machthaber jedoch durchaus offen für neue Freundschaften ist. Mittels seines repressiven Regimes versucht Präsident Yoweri Museveni, seine Erbfolge zu regeln: Mit der Unterstützung Russlands könnte er den Thron für seinen Sohn sichern. Dass sich der Westen wegen der immer prekäreren Menschenrechtslage in Uganda einmischt, ist Museveni ohnehin zunehmend ein Dorn im Auge.
  • Äthiopien: Im einstigen Vorzeigestaat des Kontinents tobt seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg. Abiy Ahmed, der Friedensnobelpreisträger, der sein eigenes Land bombardiert, dürfte Russland noch dieses Jahr die bestmögliche internationale Werbung bescheren, wenn in der Hauptstadt Adis Abeba der nächste Russland-Afrika-Gipfel stattfindet. Russland ist einer der bedeutendsten Unterstützer Ahmeds im Krieg gegen die Tigray-Rebellen.
  • Republik Kongo: Bis auf eine Verschnaufpause von gerade einmal fünf Jahren herrscht Denis Sassou-Nguesso seit 1979 über den zentralafrikanischen Staat. Der Kreml will das ressourcenreiche und massiv korrupte Land an sich binden, um seinen Einfluss auf den internationalen Energiemarkt auszuweiten.

Misstrauen gegenüber dem Westen: die Nachwehen des Kolonialismus

Was Moskau in die Karten spielt, ist das historische Misstrauen gegenüber dem Westen. Denn mit klaren Bekenntnissen zu Ost oder West ist der Kontinent selten gut gefahren. Zu Zeiten des Kalten Kriegs sahen sich viele eben erst unabhängig gewordene Staaten gezwungen, sich zwischen den Weltmächten und -ideologien zu entscheiden – die Folge waren häufig erbitterte Bürgerkriege.

Mit dem Westen, so der Thinktank “Observer Research Foundation” verbanden viele junge afrikanische Staaten Kolonialismus und Rassismus. Die Sowjetunion inszenierte sich zu dieser Zeit hingegen als helfende Hand. Diese Rollenverteilung blieb in vielen Köpfen fest verankert. Noch heute, so der britische “Guardian“, werden viele afrikanische Nationen von denselben Parteien regiert, die zu Zeiten der Befreiungskriege von Moskau unterstützt wurden. Ein gefundenes Fressen für den wortgewandten Lawrow. Im Gegensatz zum Westen unterscheide sich der russische Ansatz “grundlegend von der ‘Herr-Sklave’-Logik, die von den ehemaligen Metropolenländern aufgezwungen wird und die das veraltete Kolonialmodell reproduziert”, schreibt der vor seiner Abreise. Moskau habe sich schließlich “nicht mit den blutigen Verbrechen des Kolonialismus befleckt”.

Der Kreml rennt mit seiner antikolonialistischen und somit antiwestlichen Propaganda offene Türen ein. Auch Lawrows Vorgesetzter schlug vor Kurzem mit voller Wucht in diese Kerbe. Putin wärmte in einer Rede auf dem Internationalen Wirtschaftsforum Mitte Juni die uralte Verschwörungstheorie der “goldenen Milliarde” auf, mit der die (westliche) Elite “die Welt in Menschen erster und zweiter Klasse und ist daher im Wesentlichen rassistisch und neokolonial” aufteile. Die Worte eines Mannes, der seit Jahrzehnten alles und jeden seiner Machterhaltung unterordnet, dessen persönliches Vermögen laut “Washington Post” auf circa 200 Milliarden US-Dollar geschätzt wird und der sich auf eine Stufe mit Zar Peter dem Großen stellt (hier lesen Sie die Hintergründe). Doch ist Ironie nur ein Abfallprodukt, wenn das Ziel Spaltung ist.

Neues Ziel für den russischen Desinformationskrieg

Nach fast einem halben Jahr Krieg in der Ukraine, sind die Rollen aus westlicher Sicht klar verteilt. Die Ukraine steht für das Gute, Russland für das Böse. Man könnte also meinen, dem Kreml sei es egal, was der Westen denkt, oder dass Russland diesen Informationskrieg gar verloren hat. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hat sich Moskau in Sachen Meinungsmache lediglich für ein lohnenderes Ziel entschieden, schreibt das US-Magazin “The Atlantic”. Auf dem afrikanischen Kontinent träfen die russischen Desinformationskampagnen auf fruchtbaren Boden, da hier ohnehin schon eine in großen Teilen antiwestliche Stimmung herrscht.



Kämpfe um Cherson: ntv-Russlandexperte Emmerich berichtet aus Moskau über den Ukraine-Krieg

Laut einem Bericht des “Spiegel” bemüht sich der Kreml zudem nach Kräften, in vielen afrikanischen Ländern eine Desinformationskampagne zu führen. Der Kreml-Sender Russia Today (RT) und die staatliche Nachrichtenagentur Sputnik hätten in Westafrika ein dichtes Netzwerk aufgebaut. 622 afrikanische Nachrichtenportale würden mit Kreml-Inhalten versorgt – allein 37 davon in Mali. Auch böten viele russische Medien ihre Inhalte inzwischen auf französisch an – einer der meistgesprochenen Sprachen in Afrika.

Emmanuel Macron zieht nach – und wirft Afrika “Scheinheiligkeit” vor

Und was sagt der blütenweiße Westen zu alldem? Statt das lawrowsche Märchenbuch einem öffentlichkeitswirksamen Faktencheck zu unterziehen, begibt sich der Westen in Macron als Personalunion auf Kontertour. “Russland ist eine der letzten Kolonialmächte”, sagte der französische Staatschef bei einem Besuch im westafrikanischen Benin am Mittwoch. Er hätte ebenso bockig sagen können: “Nein, ihr seid die Bösen!” Damit nicht genug. Am Vortag ließ sich der Regierungschef einer der einst größten Kolonialmächte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem kamerunischen Amtskollegen dazu hinreißen, dem Kontinent “Scheinheiligkeit” in seiner Haltung im Ukraine-Krieg zu unterstellen. Im Kreml dürfte man sich vor Lachen kugeln.

Genau dieses Moralisieren des Westens ist es, was vielen afrikanischeN Staatschefs sauer aufstößt – und Moskau den Weg bereitet. Der Kontinent musste bisher stets vor den westlichen Geldgebern buckeln; Entwicklungshilfen sind in der Regel an Bedingungen geknüpft. Dass die durchaus ihre Berechtigung haben – schließlich geht es darum, den Geldfluss nicht in den Taschen korrupter Staatschefs versickern zu lassen – rächt sich nun. Denn Russland stellt keine moralischen Ansprüche, was besonders für autoritäre Regimes attraktiv ist. Sollte der Westen im Zuge einer Annäherung an Russland seine Investitionen zurückziehen, würde das wohl einen irreparablen Schaden für die afrikanischen Staaten bedeuten. Die hätten keine andere Wahl, als sich neue “Freunde” zu suchen.

Und so sind, während sich Lawrow und Macron gegenseitig als teuflische Kolonialherren beschimpfen, die Menschen in Afrika die Hungernden, die Leidtragenden, der Spielball der Großmächte. Wie immer.

Quellen: Russisches Außenministerium; “The Atlantic”; “The Conversation”; “The Guardian”; “Spiegel”

Mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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