Kultur in München: Die besten Premieren im Jahr 2023 – München

Filmreife Kindheit

Es ist nie zu spät für eine filmreife Kindheit. Im Februar ist es hoffentlich so weit, und der Film “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war” kommt ins Kino.

Es ist die lang erwartete, erste Kino-Adaption aus Joachim Meyerhoffs fulminantem Romanzyklus, im Fokus: eine außergewöhnliche Kindheit und Jugend unter hunderten Patienten auf einem Psychiatriegelände. Sonja Heiss, Münchner Filmemacherin (“Hedi Schneider steckt fest”) und Schriftstellerin (“Rimini”), hat das Buch in Szene gesetzt. Zuletzt gab es Verzögerungen, aber die Vorfreude bleibt groß. Bernhard Blöchl

Lebensnahes Mammutwerk

Dmitri Tcherniakov inszeniert an der Bayerischen Staatsoper Sergej Prokofjews “Krieg und Frieden”, er will darin Geflüchtete auf die Bühne bringen.

(Foto: Doris Spiekermann-Klaas/imago images/tagesspiegel)

Kann man sich, darf man sich darauf freuen? Dmitri Tcherniakov inszeniert Sergej Prokofjews “Krieg und Frieden” nach Leo Tolstoi an der Bayerischen Staatsoper. Am 5. März, in etwas mehr als zwei Monaten, ist Premiere. Kein Mensch weiß, wie die Welt dann aussehen mag. Auch Prokofjew wusste das damals nicht; als er im Winter 1941 mit seiner Arbeit an dem wuchernden Werk begann, stand die deutsche Wehrmacht vor Moskau, eine Unternehmung, die so desaströs enden sollte wie Napoleons Russlandfeldzug, den Tolstois Roman zum Hintergrund hat.

Der Kompositionsprozess zog sich bei Prokofjew, er musste seine Mammut-Oper mehrfach umschreiben. Man kann sie als stalinistisches Jubelwerk hören, als Propagandaschinken auf die Bühne bringen, oder als Antikriegsepos. Letzteres ist vom Moskauer Dmitri Tcherniakov zu erwarten. Er hat die Belegschaft der Staatsoper in den vergangenen Monaten per Aushang gebeten, der Kostümabteilung Damen- und Herrenbekleidung zu spenden.

Denn er habe sich, so heißt es da, für die Oper ein Konzept überlegt, das möglichst nahe an unsere heutige Lebensrealität herantritt: Geflüchtete aus verschiedenen Bevölkerungsschichten sollen in dieser Oper mitagieren. Und darauf kann man, darf man gespannt sein. Jutta Czeguhn

Frieden schaffen

Münchner Bühnen: Die Situation von Frauen einst und heute ist Thema eines Gemeinschaftsprojekts von Monacensia und Kammerspielen. Auch um den Iran wird es gehen - wie kürzlich bei einer Münchner Demonstration am Tag der Menschenrechte.

Die Situation von Frauen einst und heute ist Thema eines Gemeinschaftsprojekts von Monacensia und Kammerspielen. Auch um den Iran wird es gehen – wie kürzlich bei einer Münchner Demonstration am Tag der Menschenrechte.

(Foto: IMAGO/aal.photo)

Mitten im Ersten Weltkrieg setzten diese Frauen auf den Frieden. Die Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Aletta Jacobs beriefen 1915 in Den Haag einen Internationalen Frauenfriedenskongress ein, zu dem mehr als tausend Teilnehmerinnen aus zwölf Ländern anreisten – mit weitreichenden Folgen, für sie selbst und für die Welt. Ob das davon inspirierte Festival “Female Peace Palace”, das von 31. März bis 22. April in München stattfinden soll, ebenfalls Wirkung zeigen wird?

Einen Versuch ist es wert, und das Literaturarchiv Monacensia und die Münchner Kammerspiele wollen ihn im Rahmen ihres Langzeit-Projekts #FemaleHeritage wagen. In Theaterstücken und einem Symposium wird es dabei auch um aktuelle Konflikte und Kriege wie in Iran oder der Ukraine gehen – mit dem Ziel, an einem “imaginären Friedenspalast” zu bauen und zu klären: Was ist die feministische Friedensutopie? Eine spannende Frage, mit hoffentlich friedenstiftenden Antworten. Antje Weber

Wiedersehen in vollen Kinosälen

Münchner Bühnen: Auch die Macher des Dok-Fests München freuen sich wieder auf einen normalen Festivalbetrieb mit viel Publikum, wie hier bei der Eröffnungsveranstaltung 2019 im Deutschen Theater.

Auch die Macher des Dok-Fests München freuen sich wieder auf einen normalen Festivalbetrieb mit viel Publikum, wie hier bei der Eröffnungsveranstaltung 2019 im Deutschen Theater.

(Foto: Dok-Fest München)

Alles war anders, nichts ging mehr. Denn das, was sie ausmachte, wurde infrage gestellt – oder abgesagt. Für Filmfestivals waren die vergangenen drei Jahre schwierig, unterkriegen lassen von der Pandemie wollten sie sich aber nicht. Also experimentierte man mit hybriden Formaten, mit Online-Screenings oder Open-Air-Veranstaltungen. Das klappte relativ gut, man erreichte neue Publikumsschichten, Festivals wie das Dok-Fest München wollen die Kombination aus Kino- und Online-Vorführungen auch in Zukunft beibehalten.

Trotzdem freut man sich wieder auf einen Festivalbetrieb, wie es ihn vor 2020 einmal gab, mit vollen Kinosälen, Publikumsgesprächen oder Premierenfeiern. Und auch wenn die Pandemie ihren Schrecken noch nicht ganz verloren hat, könnte 2023 ein gutes Festivaljahr werden: Die bayerischen Kulturveranstalter sind zuversichtlich, von den Hofer Filmtagen bis zu den Grenzland-Filmtagen Selb, vom Fünf-Seen-Filmfestival bis zu den Musikfilmtagen Oberaudorf. Das Filmfest München feiert sogar Jubiläum, es findet kommenden Sommer zum 40. Mal statt. Die Freude ist groß, jetzt muss nur noch das Publikum kommen. Josef Grübl

Komödien und Klassiker

Münchner Bühnen: Mit "A scheene Leich" kehren Gerhard Polt und die Well Brüder an die Kammerspiele zurück.

Mit “A scheene Leich” kehren Gerhard Polt und die Well Brüder an die Kammerspiele zurück.

(Foto: Maurice Korbel)

Lange Ausschau halten ist 2023 nicht notwendig. Nach einer kurzen Winterpause melden sich die Theater sehr bald mit Verve zurück, in München mit einem besonders starken Premieren-Wochenende Ende Januar. Es beginnt am Freitag, 27. Januar, am Volkstheater mit der Uraufführung “Alles ist aus, aber wir haben ja uns (Unterwasser)“.

Diese romantische Komödie erfindet das Duo Bonn Park und Ben Roessler. Und das ist vielversprechend, stammt von ihnen doch auch die kultige Highschool-Oper “Gymnasium”. Die Kammerspiele bieten tags darauf am 28. Januar eine Uraufführung, die dort kaum namhafter besetzt sein könnte: Gerhard Polt, die Well Brüder und Ruedi Häusermann befassen sich in der Komödie “A scheene Leich” mit dem Geschäft ums Sterben und dem unmöglichem Umgang mit dem Tod.

Und am selben Abend packt das Residenztheater einen antiken Klassiker aus: “Antigone” von Sophokles, den Regisseurin Mateja Koležnik mit Slavoj Žižeks “Die drei Leben der Antigone” verbindet. Schade nur: Alle drei schafft man nicht an diesem Wochenende. Yvonne Poppek

Frischzellen-Pop

Münchner Bühnen: Hyperpop für Deutschland: Die ehemalige Jura-Studentin Domiziana reist zum "Puls Open Air".

Hyperpop für Deutschland: Die ehemalige Jura-Studentin Domiziana reist zum “Puls Open Air”.

(Foto: Celste Cell)

Plötzlich ist das Genre in aller Munde: Hyperpop. Wer dabei an “Hyper Hyper”-Rummsbumms von Scooter denkt oder wikipeden muss, braucht wohl eine Frischzellen-Kur fürs verkalkte Musik-Organ. Und wer das olle Wort “Frischzellenkur” verwendet, erst Recht. Statt also nachzulesen, was Hyperpop ist, nämlich eine aus Großbritannien herüberschwappende, mit Glitchcore und Digicore und der LGBTQ-Bewegung befreundete, sehr exaltierte Avantgarde-Pop-Spielart, sollte sie besser erleben.

Etwa beim Auftritt der sich wie ein Fetisch-Alien gebärdenden Künstlerin Domiziana, die erst ihr Jura-Studium abschloss, um dann Deutschland den Hyperpop zu lehren (“Ohne Benzin”). Das sind so spannende Karrieren, die man noch recht am Anfang beim “Puls Open Air” auf Schloss Kaltenberg entdecken kann. Nach der Corona-Pause und dem Abbruch wegen eines Ausfalls von Sicherheitspersonal 2021 findet das Festival von 8. bis 10. Juni endlich wieder statt.

Die Redaktion der BR-Jugendwelle präsentiert wie üblich viele ihrer Lieblingskünstler: Nura (“von Asylheim in die Charts”) kennt man vielleicht noch vom Abräumer-Duo SXTN, Ennio als Gewinner des New Music Awards, Kaffkiez und Allie Neumann vom “Superbloom”-Festival, aber Beatrice Ilejay Laus alias Beabadoobee, Ekkstacy, 01099, Ski Aggu, Beachpeople, Buntspecht? Zeit für neue Hypes. Michael Zirnstein

Rockmärchen im Marionettentheater

Münchner Bühnen: Was wäre der böse Schneemann Arktos ohne seinen Eis-General? Der wird derzeit in den Werkstätten des Münchner Marionettentheaters eingekleidet.

Was wäre der böse Schneemann Arktos ohne seinen Eis-General? Der wird derzeit in den Werkstätten des Münchner Marionettentheaters eingekleidet.

(Foto: Münchner Marionettentheater)

Seine Qualitäten als rockender Glückskäfer wird Siegfried Böhmke, der Intendant des Münchner Marionettentheaters, im Frühjahr 2023 unter Beweis stellen: Nach zwei Jahren Vorbereitung kann hier endlich seine Umsetzung von Peter Maffays Familienmusical “Tabaluga – es lebe die Freundschaft” am 25. März Premiere feiern. “Es wird eine irre Show mit vielen Mitwirkenden auf großer Bühne”, sagt Böhmke.

Er selbst spricht und singt den Part des besagten Glückskäfers, der zu seinem Erstaunen feststellen muss, dass sein Urlaubsziel Grünland mitsamt seinem berühmten Drachen-Bewohner unter Eis und Schnee verschwunden ist. Verantwortlich dafür ist mal wieder der böse Schneemann Arktos, der König des Eislands, der die Macht über Grünland übernehmen will.

Die Tabaluga-Figur hat Böhmke in mehreren Ausführungen als Marionette und Handpuppe in beachtlicher Größe von 75 Zentimetern gebaut; noch größer wird sein Gegenspieler Arktos, der zusätzlich mit Animationen zum Leben erweckt wird. Und der Glückskäfer? “Ist klein, aber von tragender Funktion”, sagt Böhmke und lacht. Er entdeckt nicht nur Tabaluga unter der Eisdecke, sondern hilft ihm auch, sein verlorenes Gedächtnis zurückzugewinnen. Und natürlich hat der Chef der Marionetten Maffay zur Premiere eingeladen. Barbara Hordych

München blüht auf

Münchner Bühnen: Das Flower-Power-Team will die ganze Stadt in einen Blütenrausch stürzen.

Das Flower-Power-Team will die ganze Stadt in einen Blütenrausch stürzen.

(Foto: Robert Haas)

Wie aus einer kleinen Idee ein großes Festival werden kann, hat die Kunsthalle München 2018 mit dem Faust-Festival vorgemacht. Damals lieferten sich große wie kleine Institutionen einen wahren Wettlauf, um Goethes Klassiker in Form von Ausstellungen, Performances, Theaterstücken, Konzerten, Lesungen und vielem mehr in ein neues Licht zu rücken.

Diesmal ist die Kunsthalle mit ihrer Ausstellung “Flowers Forever”, die vom 3. Februar bis 9. Juli zu sehen sein wird, der Nukleus einer Festival-Idee, die die Stadt in einen wahren Blütenrausch versetzen will. Unterstützt wird die Kunsthalle vom Gasteig Kulturzentrum, dem Botanischen Garten und dem Naturkundemuseum Biotopia. Neun Monate lang sollen künstlerische, aber auch naturwissenschaftliche Ansätze rund um die Blumen-Idee drinnen wie draußen bunte Blüten treiben und nicht nur typische Räume, an denen immer Kunst entsteht, sondern auch Parks und Gärten, Straßen und Plätze, Hörsäle und Restaurants theatralisch, musikalisch und literarisch verwandeln. Ganz nach dem Festival-Motto: München blüht auf. Evelyn Vogel

Im Strudel des Lichts

Münchner Bühnen: "Snow Storm - Steam-Boat off a Harbour's Mouth" aus dem Jahr 1842 von Joseph Mallord William Turner (1775-1851).

“Snow Storm – Steam-Boat off a Harbour’s Mouth” aus dem Jahr 1842 von Joseph Mallord William Turner (1775-1851).

(Foto: Tate/Tate Images)

Die Farben des Lichts am Himmel und auf Erden, im Wasser und auf Wolken, mal hell leuchtend, mal dunkel raunend – all dies verzauberte und provozierte die Zeitgenossen des englischen Malers und Zeichners Joseph Mallord William Turner im 19. Jahrhundert. Seine Experimente mit Farben wurden immer radikaler. Die Landschaften lösten sich auf in einem Strudel aus Licht und Stimmung.

Zwar blieben die Seestücke bis heute ein beliebtes Sujet. Aber sein Verdienst war das eines Vorreiters der Abstraktion. Dass Turner dies mit viel Bedacht vorantrieb, wie der Künstler sich selbst schulte, erfand und inszenierte, all dem will die Ausstellung “Three Horizonts” im Lenbachhaus nachgehen, die von 28. Oktober 2023 bis 10. März 2024 zu sehen sein wird. Dank einer Kooperation mit der Tate Britain in London, die seinen reichen Nachlass verwahrt, kann die Ausstellung Turners Werdegang und seine bildnerischen Innovationen nachzeichnen und anhand von etwa 40 Gemälden sowie ebenso vielen Aquarellen und Skizzen aus allen Schaffensphasen anschaulich machen. Evelyn Vogel

Ein neues Kunstkraftwerk

Münchner Bühnen: Das Bergson Kunstkraftwerk auf einem Rendering, präsentiert bei der Baustellenbegehung.

Das Bergson Kunstkraftwerk auf einem Rendering, präsentiert bei der Baustellenbegehung.

(Foto: Stephan Rumpf)

Energiekrise? Nicht im Münchner Westen! Ein symbolträchtigeres Projekt kann es für 2023 gar nicht geben: Im Oktober wird das Bergson eröffnen. Es zieht ein in das alte Heizkraftwerk von Aubing, einst gebaut mit dem Ziel, einen monströsen neuen Hauptbahnhof in Pasing mit Energie zu versorgen. Die Nazis brachten das Projekt zum Glück nicht zu Ende, aber das Kraftwerk wurde in der Nachkriegszeit doch in Betrieb genommen – für ein paar Jahre wenigstens. Danach bot die Ruine heimlichen Techno-Partys einen grandiosen Tempel.

Vor einigen Jahren dann kauften die Brüder Amberger – Avantgardisten als Unternehmer in der Welt der Tankstellen – das verlassene Gebäude. Und jetzt sind sie fast fertig mit der Transformation dieser historischen Architektur in einen neuen, zeitgemäßen Ort. Geben wird es dort: Konzerte, kuratiert vom Chef der Jazzrausch Bigband, die dort ihre Homebase erhält, Kunstausstellungen auf vielen hundert Quadratmetern, Vorträge, Lesungen, Events aller Art und Kulinarik. Welche Vorfreude! Susanne Hermanski

source site