Indra Devi: Von der ersten weiblichen Yoga-Schülerin zur “First Lady”

Zuerst weigerte sich der Yoga-Guru Krishnamacharya, Indra Devi in seinen Unterricht aufzunehmen. Weil sie eine Frau war und aus dem Westen kam. Schließlich gab er nach. Indra Devi meisterte nicht nur sein hartes Programm, sondern trug das Yoga anschließend in die Welt und leistete einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der Praxis.

Indra Devi gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Yoga-Geschichte. Als Pionierin trug sie maßgeblich zur weltweiten Verbreitung der indischen Praxis bei. In einer Zeit, in der Yoga noch von Männern dominiert war, durfte sie als erste weibliche Schülerin von einem der angesehensten Gurus lernen. Dessen Praktiken entwickelte Indra Devi weiter und trug das Yoga in die Welt. Sie unterrichtete unter anderem in den USA, in Russland, China, Indien, Mexiko und Argentinien.

Laut der “New York Times” brachte sie sowohl Hollywood-Stars als auch der Kreml-Führung die indische Lehre bei. Damit leistete sie einen “immensen Beitrag zum Fortschritt des Yoga weltweit”, schreibt das “Yoga Journal”. In den USA ist sie deshalb als “First Lady des Yoga” bekannt. Zudem erlebte Indra Devi, die im Alter von 103 gestorben ist, das gesamte 20. Jahrhundert mit und wurde somit Zeugin aller größeren Konflikte und politischen wie kulturellen Umwälzungen dieser Zeit.

Indra Devi war eine “wegweisende” Figur in der Geschichte des Yoga

Obwohl sie in der Welt des Yoga immer wieder als “wegweisende Figur” und “Botschafterin des Yoga” bezeichnet wird, findet Indra Devi selten Erwähnung. Zu Unrecht. Ihr Leben ist eine Geschichte des Feminismus und der Emanzipation. Die Geschichte eines Freigeists, der sich immer wieder neu erfand. “Ihre Bereitschaft, an fast jedem Punkt ihres Lebens aufzustehen und neu anzufangen, hat etwas fast Übernatürliches”, sagt Michelle Goldberg, eine Journalistin, die das bisher einzige Buch über Indra Devi (“The Goddess Pose”) verfasst hat, in einem Gespräch mit der “Los Angeles Times“.

Indra Devi im Meditationssitz

Indra Devi im Meditationssitz. “Sie hatte einen frühen präfeministischen Feminismus an sich”, sagt Fernando Pages Ruiz, ein Redakteur des “Yoga Journal”, der sie mehrmals interviewt hatte, in einem Gespräch mit der “Los Angeles Times”.

© Fundacion Indra Devi

Die lange, abenteuerliche Reise der Yoga-Pionierin begann am 12. Mai 1899 in Riga, Lettland, wo sie als Eugenie Peterson zur Welt kam. Sie wurde in aristokratische Verhältnisse hineingeboren. Ihr Vater Vasili Peterson war ein schwedischer Bankdirektor, ihre Mutter Alejandra Vasilyevna, war eine russische Adlige, die als Theaterschauspielerin arbeitete. Diesen Werdegang verfolgte zunächst auch Eugenie Peterson. In Moskau besuchte sie die Schauspielschule und auch in Berlin, wohin ihre Familie nach Ausbruch des russischen Bürgerkriegs floh, trat sie als Darstellerin auf. 

Indien war seit der Jugend ihr Sehnsuchtsort

Schon in jungen Jahren entwickelte sie eine Faszination für Indien. Im Alter von 15 Jahren entdeckte sie beim Stöbern in der Bibliothek einer Freundin ihrer Mutter das Buch “Fourteen Lessons in Yogi Philosophy and Oriental Occultism”. Begeistert von der spirituellen Literatur schwor sie, eines Tages nach Indien zu reisen. Die Gelegenheit dazu ergab sich erst mehrere Jahre später. 1972 hielt Hermann Bolm, ein wohlhabender Bankier, um ihre Hand an. Vor der Hochzeit reisten sie zusammen für drei Monate in das südasiatische Land.

Kaum wieder in der Heimat, gab sie ihrem Partner mit den Worten, ihr Platz sei in Indien, den Verlobungsring zurück und brach erneut zu ihrem Sehnsuchtsort auf. Unter dem Künstlernamen “Indra Devi” machte sie sich einen Namen in der indischen Filmbranche. 1930 heiratete sie Jan Strakaty, den Handelsattaché des tschechoslowakischen Konsulats in Bombay. Durch ihn lernte sie den Maharadscha von Mysore kennen, der in seinem Palast eine Yogaschule unterhielt. Dort unterrichtete der legendäre Yoga-Guru Tirumalai Krishnamacharya.

Als “Vater des modernen Yoga” beschäftigte sich der Guru in einer Zeit, in der eher die spirituellen und philosophischen Aspekte im Vordergrund der Lehre standen, mit Hatha Yoga, dem Zweig der Praxis, der sich mit Körperhaltungen befasst. Neben klassischen Asanas baute Krishnamacharya Drills von indischen Wrestlern sowie Ausfallschritte und Drehungen aus europäischen Gymnastikroutinen in sein Yoga ein. Der britische “Guardian” beschreibt es als “Synkretismus mehrerer körperlicher Fitnesstrends aus dieser Zeit”. Daraus entstanden populäre Yoga-Stile wie Ashtanga oder Vinyasa-Flow. Dass die Bewegungspraxis wie der auf der ganzen Welt Anerkennung fand, ist zu einem großen Teil Indra Devis Verdienst.

Wie das Portal “Amazing Women in History” berichtet, waren es Brustschmerzen, die Indra Devi zum Yoga brachten. Sie wollte Unterricht bei Krishnamacharya nehmen, doch dieser weigerte sich zunächst, die Schauspielerin aufzunehmen, weil sie aus dem Westen kam. Und weil sie eine Frau war. Bis ins 20. Jahrhundert durften ausschließlich Männer Yoga lehren und praktizieren. Mit Indra Devi kam eine “hartnäckige und durchsetzungsfähige Frau”, die die Barriere durchbrach. Sie bettelte so lange beim Königspaar von Mysore, bis die Herrscher dem Guru befahlen, Indra Devi zu unterrichten.

Krishnamacharya nahm sie schließlich unter seine Fittiche. Damit wurde sie nach Angaben des “Yoga Journal” zur ersten weiblichen Yoga-Schülerin und zur ersten Frau aus dem Westen, die in einem indischen Ashram leben durfte. “Er war sehr streng zu mir und dachte, dass ich das Regime, das er mir auferlegte, nicht aufrechterhalten würde”, zitiert die “Los Angeles Times” Indra Devi aus einem Interview, in dem sie über ihren Lehrer gesprochen hatte. Die Lehre war von Disziplin, Einschränkungen und Überstunden geprägt. Die Schauspielerin schaffte es dennoch, mit den männlichen Schülern Schritt zu halten.

Unter anderem übte sie mit den bekannten Gurus Pattabhi Jois und B.K.S Iyengar. Beiden wird heute ebenfalls eine entscheidende Rolle für die Geschichte des Yoga attestiert. Auch in Indra Devi sah Krishnamacharya enormes Potential. Laut “Amazing Women in History” ernannte der Guru sie schließlich zu seiner Privatschülerin und überwachte persönlich ist Asana -und Pranayama-Training. 

Sie nahm das Schiff, das zuerst abfuhr – es ging in die USA

Als ihr Mann nach China versetzt wurde, musste sie Indien verlassen. Ihr Guru trug ihr auf, seine Lehren in die Welt zu tragen. Laut dem Bericht der “Los Angeles Times” hatte Indra Devi am Anfang eher Angst vor dem Unterrichten, lehnte den Wunsch ihres Gurus jedoch nicht ab und eröffnete 1939 ihr erstes Yoga-Studio am Hofe von Madame Chiang Kai-shek, der Frau des nationalistischen Führers von China. Zu dieser Zeit kam laut “New York Times” ihr Spitzname “Mataji” (“Mutter”) auf. Während ihr Mann nach einigen Jahren in seine Heimat, die damalige Tschechoslowakei, berufen wurde, kehrte Indra Devi zurück nach Indien, wo sie Yoga lehrte und erste Bücher verfasst. Als ihr Mann 1946 verstarb, reiste sie noch einmal nach China, um die gemeinsamen Besitztümer zu verkaufen.

Anschließend überlegte sie, nach Indien zurückzugehen oder in die USA zu reisen. Sie kaufte Tickets für beide Ziele und entschied sich für das Schiff, das zuerst ablegte – Richtung Nordamerika. Dort kam sie laut dem Portal “Yoga Easy” gerade rechtzeitig, “um das aufkeimende Interesse an Körper- und Atemtechniken der Filmstars zu befriedigen”. 1947 eröffnete sie ein Studio in Hollywood, wo sie laut “New York Times” prominente Persönlichkeiten wie Gloria Swanson, Greta Garbo, Robert Ryan und Jennifer Jones im Yoga unterrichtete. Die Stars fanden die Atem- und Entspannungstechniken hilfreich für ihre Arbeit. Zudem soll Indra Devi, die in der gleichen Branche gearbeitet hatte, den Schauspielern laut “Hinduism Today” einfühlsam und empathisch begegnet sein.

Indra Devi brachte Yoga nach Hollywood und nach Russland

Darüber hinaus unterrichtete die Yogalehrerin in den Spas der berühmten Kosmetikerin Elizabeth Arden. Der Yoga-Stil Indra Devis sei “eine Form von Yoga, die intensiv körperlich war und die Reinigung des Körpers zur notwendigen ersten Stufe des spirituellen Trainings machte”, schreibt Stefanie Syman in ihrem Buch “The Subtle Body: The Story of Yoga in America”. Daher “erfüllte Devis Yoga – Hatha Yoga – viel mehr die Bedürfnisse von Hollywood-Stars, insbesondere von Frauen, die unter dem ständigen Druck standen, strahlend jugendlich auszusehen”, meint die Autorin. Der Fokus auf den körperlichen Aspekt, die Überzeugung, dass Bewegung die Jugend verlängert, und die prominente Klientel hätten Yoga schließlich zu einem geeigneten Übungsprogramm für die breite Masse gemacht.

Indra Devi mit Gloria Swanson

Indra Devi (rechts) mit Gloria Swanson. Die Yogalehrerin trug am liebsten den traditionellen Sari.

© Fundacion Indra Devi

1953 heiratete Indra Devi erneut. Durch die Ehe mit dem Mediziner Siegrid Knauer wurde sie zu US-amerikanischen Staatsbürgerin und ließ ihren Namen offiziell in Indra Devi ändern. Ihr wohlhabender Ehemann, laut “New York Times” ein Fan des Yoga und der alternativen Medizin, schenkte ihr 1961 ein Anwesen mit 24 Zimmern in Tecate, Mexiko, wo sie Kurse für Yogalehrer geben sollte.

Doch zuvor stand eine Reise nach Russland an. Nach Angaben der US-Zeitung soll der Botschafter von Indien in Moskau ein Treffen mit Mitgliedern der sowjetischen Regierung, darunter der damalige Ministerpräsident Alexei Kossygin, arrangiert haben. Bei ihrer Visite soll Indra Devi ihre Yoga-Praxis im Kreml vorgeführt und über die körperlichen Vorteile referiert haben. Dabei soll sie die Führung des Landes davon überzeugt haben, dass Yoga keine religiöse Lehre sei. Daraufhin sei Yoga in der damaligen Sowjetunion offiziell erlaubt worden.

Ihr Yoga-Stil passte sich den Bedürfnissen der Gesellschaft an

Im Laufe der Zeit nahm Indra Devi jedoch mehr und mehr esoterische Elemente in ihren Yoga-Unterricht auf. “Als sich die Kultur veränderte und die Menschen offener für metaphysische Ideen wurden, passte sie sich an, indem sie ihre Lehren mit mehr Spiritualität erfüllte”, berichtet Michelle Goldberg, Verfasserin der Indra Devi-Biografie im Gespräch mit dem Online-Portal “Embodied Philosophy“. Die Stunden bei Indra Devi wurden zu einer “ausgedehnten Gebets- und Andachtserfahrung, gepaart mit einer Abfolge von Standard-Yoga-Posen”, schreibt die “Los Angeles Times”.

Wenige Jahre später ließ Indra Devi sich von einem anderen Guru, Sathya Sai Baba, in den Bann ziehen. Daraus entwickelte sie eine neue Form des Yoga, Sai Yoga genannt. Erst nach dessen Tod wurde bekannt, dass Sai Baba , wie viele andere Yoga-Meister, in sexuelle Übergriffe verwickelt gewesen war. 1982 – ihr Mann war fünf Jahre zuvor verstorben – folgte sie laut einem Bericht von “Yoga Vidya” der Einladung von Sai Baba-Anhängern nach Argentinien.

Wir müssen sowohl unsere Weiblichkeit als auch unsere Stärke bewahren. Männer müssen von ihrem Sockel herabsteigen und lernen, aufgeschlossener und spiritueller zu sein. 

Dort verbrachte sie den großen Teil ihres restlichen Lebens. Sie soll sich “so sehr in Land und Leute verliebt haben”, dass sie beschloss, sich dort dauerhaft niederzulassen. Unter anderem bildetet sie die beiden Yoga-Schüler Iana und David Lifar aus, die “Mataji” zu Ehren die Indra Devi Foundation gründeten, wo die Lehren der Meisterin bis heute weitergegeben werden. Bis ins hohe Alter sprach Indra Devi im Radio, auf Konferenzen und in Hörsälen, die bei ihren Besuchen aus allen Nähten quollen, wie “Hinduism Today” berichtet.

Inda Devi steht zwischen hohen Pflanzen

“Devi hatte viele Möglichkeiten, ihre eigene Marke oder ihr eigenes Imperium aufzubauen, aber ich denke, sie war dafür zu freigeistig und hat sich letztendlich nie etwas um sie herum aufbauen lassen”, denkt Michelle Goldberg, die die Lebensgeschichte Indra Devis in “The Goddess Pose” niedergeschrieben hat.

© Fundacion Indra Devi

Bis zum Alter von 99 soll Indra Devi noch anspruchsvolle Asanas ausgeführt haben, schreibt die “Los Angeles Times”. Am Ende habe ihre Praxis laut dem “Yoga Journal” nur noch aus vier Posen bestanden: drei sitzende Haltungen und eine Kopfstand-Variante. Nur langsam drosselte Indra Devi ihr Tempo. Durch ihre Yoga-Praxis erreichte sie gesund und schmerzfrei ein hohes Alter von 103. Am 25. April 2002 starb sie in Buenos Aires. 

Charismatisch und herzlich, aber auch ehrgeizig und rücksichtslos

Charakterzüge, die der Yoga-Meisterin zugeschrieben werden, sind “Empathie, Wärme, Sanftmut und ein entwaffnender Sinn für Humor” (“Hinduism Today”). Sie galt als “charmant, sympathisch, herzlich” (“Huffpost“). “Außerdem war sie sehr, sehr charismatisch. Die Leute fühlten sich einfach zu ihr hingezogen und wollten Dinge für sie tun, sich um sie kümmern”, erläutert Biografin Michelle Goldberg im Gespräch mit “Embodied Philosophy”. Allerdings war Indra Devi keinesfalls frei von Egoismus und ihr Leben kein Paradebeispiel für die Ethik des Yoga. Ihre Schattenseiten zeigten sich anhand moralisch teils verwerflicher Entscheidungen: sie nutze ihren ersten Verlobten für die Indien-Reise aus, ließ ihren ersten Ehemann alleine, als er im Sterben lag und umgab sich manchmal mit fragwürdigen Yoga-Gurus.  

Dennoch hat ihr Lebenswerk entscheidend zur Verbreitung des Yoga im Westen beigetragen. Hinter dem Erfolg steht vor allem Indra Devis Fähigkeit, sich immer wieder auf neue Umstände einzustellen. “Devi war sehr, sehr anpassungsfähig. Sie musste es sein – es war das Geheimnis ihres Überlebens”, sagt Michelle Goldberg. In jeder Situation entschied sie sich “gegen die Bequemlichkeit und für das Abenteuer”, schreibt “Yoga Easy”. Damit ging auch eine gewisse Rastlosigkeit einher. Bis zuletzt blieb die große Lehrerin selbst Schülerin, immer auf der Suche nach dem einen, wahren Lehrer.

Quellen:Amazing Women in History“, Fundacion Indra Devi, “Hinduism Today“, “Los Angeles Times (I)”, “Los Angeles Times” (II) “New York Times“, “The Guardian“, “The Subtle Body: The Story of Yoga in America”, “Yoga Easy“, “Yoga Journal” (I), “Yoga Journal” (II), “Yoga Vidya

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