Elektromobilität: „Ich will mit den Scheißdingern nichts zu tun haben“ – Wirtschaft

„Niemals würde ich ein E-Auto kaufen“, sagt der eine. Er fahre öfter von Berlin nach Italien, 1000 Kilometer hin, 1000 Kilometer zurück, da habe er keine Lust, ständig rauszufahren und eine Stunde lang zu laden. Außerdem, und da sind die beiden sich einig: Elektroautos seien „Volksverarsche“. Viel teurer als Verbrenner, und weil kein Mensch wisse, wie die Batterien recycelt würden, dazu auch noch klimaschädlich.

Der Deutsche und das E-Auto. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Geht es nach der Bundesregierung, dann sollen immer mehr Menschen ein Elektroauto kaufen. Rein rechnerisch müssten ab sofort jeden Monat mindestens 141 000 E-Autos zugelassen werden, wenn die Regierung ihr Ziel von 15 Millionen bis 2030 erreichen will. Im Mai 2024 waren es allerdings nur rund 30 000 – Tendenz: fallend. Und laut einer Allensbach-Umfrage zieht nur noch jeder Sechste beim nächsten Autokauf ein E-Auto in Betracht. Viel zu wenig für den erhofften Boom.

(Foto: SZ-Grafik)
(Foto: SZ-Grafik)

Dabei hat sich zuletzt einiges getan: Die Hersteller bieten immer mehr Modelle an. Der ADAC rechnet vor, dass trotz der höheren Anschaffungskosten das Elektroauto über die gesamte Lebenszeit bis auf wenige Ausnahmen die günstigere Wahl ist. Die Zahl der Ladesäulen steigt. Und ja, die hauruckartige Streichung der Kaufprämien für E-Autos im Dezember 2023 war für viele Interessenten ein Schock. Doch danach überboten sich die Hersteller mit Rabatten, sodass manches E-Modell heute sogar günstiger zu haben ist als noch mit staatlicher Förderung.

Wie also kann es sein, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen immer noch kein E-Auto fahren will?

Diese Frage hat sich auch Tobias Brosch gestellt. Aber nicht etwa, weil er den Menschen etwas verkaufen will. Brosch ist Psychologe, er leitet an der Uni Genf den Lehrstuhl für „Psychologie der nachhaltigen Entwicklung“.

Bereits im Jahr 2022 untersuchte er gemeinsam mit zwei Kollegen ein zentrales Anti-Kauf-Argument bei Elektroautos: die sogenannte Reichweitenangst. Brosch und Co. wiesen nach, dass Autofahrer die Reichweite der Fahrzeuge systematisch unterschätzen und ein E-Auto deshalb für ungeeignet halten. „Ein klassischer Fall von kognitiver Verzerrung“, so Brosch. 39 Kilometer wird ein Auto in Deutschland im Schnitt pro Tag gefahren, auch die meisten Berufspendler fahren nicht mehr. Somit müssten viele Autofahrer ihren Wagen höchstens einmal pro Woche laden. „Reichweitenangst“ sei meist nicht rational begründet, so Brosch. Aber es gibt sie halt.

Ein weiterer psychologischer Faktor sei, erklärt Brosch, dass die Menschen dem E-Auto noch nicht so recht trauen. „Für das menschliche Gehirn ist das gerade erst auf dem Markt erschienen“, so der Psychologe. Zwar gebe es immer die Vorreiter, die sich auf alles Neue stürzen. Die große Mehrheit aber stehe derart umwälzenden Innovationen zurückhaltend gegenüber. „Das ist fast schon so eine Art Neophobie.“ Entscheidend, so Brosch, sei zudem die Frage, was das soziale Umfeld denkt. „Fahrzeuge gelten in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer als die Statussymbole“, so Brosch. „Daher ist es vielen Menschen wichtig, dass das eigene Umfeld positiv auf das eigene neue Auto reagiert.“

„Hier kam noch niemand rein und wollte ein E-Auto haben“, erzählt der Autohändler

In Stuttgart, der Wiege des Automobils und Heimat von Mercedes und Porsche, gilt das wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. Ein Rundruf bei mehreren Gebrauchtwagenhändlern zeigt: Die Stimmung ist auch hier nicht besonders E-Auto-freundlich. Einer sagt am Telefon, dass man doch nur Stress habe mit diesen Autos, die Batterie sei schlecht, die Reichweite gering. Ein anderer behauptet, dass Elektroautos gar nicht umweltfreundlicher seien als Verbrenner, weil Produktion und Entsorgung der Batterien ja auch dem Klima schadeten. Ein anderer wird sogar laut: „Ich will mit den Scheißdingern nichts zu tun haben“, ruft er ins Telefon. Wer als Kunde an diese Händler gerät, wird vermutlich nicht mit einem Elektroauto vom Hof fahren.

Besuch beim Gebrauchtwagenforum Stuttgart, ein kleiner Parkplatz, ein paar Autos, ein Bürohäuschen. Drinnen am Schreibtisch sitzt Nedeljco Zec, er ist der Inhaber hier. Neben ihm steht sein Sohn Aleksandar, der immer mal aushilft. Auf dem Wandposter hinter den beiden prangt ein SLS AMG Mercedes mit Flügeltüren – Verbrenner, versteht sich. „Hier kam noch niemand rein und wollte ein E-Auto haben“, sagt Zec. Mit dem Verbrenner komme er in acht Stunden in seine Heimat Kroatien, sagt er, „mit dem E-Auto dauert das zwei Tage“.

„Hier kam noch niemand rein und wollte ein E-Auto haben“, sagt der Stuttgarter Gebrauchtwagenhändler Nedeljco Zec (links). Auch Sohn Aleksandar Zec sieht E-Autos kritisch. (Foto: Tobias Bug)

Und überhaupt: Die Verbrenner, die er verkauft, kann er meistens selbst reparieren. Bei den Elektroautos ginge das nicht, sagt Zec, dafür bräuchte er eine Hochvoltschulung für die sichere Arbeit an E-Fahrzeugen. „Viel zu teuer“, sagt er. Aber ob er sich nicht irgendwie auf das Verbrenner-Aus in elf Jahren vorbereiten müsse? Nun, sagt Zec, da sei er sowieso schon in Rente. „Solange ich lebe, wird der Verbrenner da sein.“ Sein Sohn hat sich ohnehin längst umorientiert, er arbeitet als Wirtschaftsinformatiker, will den Gebrauchtwagenhandel nicht übernehmen. Doch auch er sieht E-Autos kritisch: Man hätte sich viel mehr Zeit lassen sollen, die richtige Technologie zu finden, sagt er, und nicht alles auf Elektro setzen. Es gebe ja Alternativen: Wasserstoff, E-Fuels, grünere Verbrenner.

Erst mal abwarten, bis „die da oben“ sich geeinigt haben

An dieser Sichtweise ist die Politik maßgeblich beteiligt. Dass Wasserstoff-Autos viel zu ineffizient sind, E-Fuels auch in zehn Jahren nicht in ausreichenden Mengen vorhanden sein werden und der Verbrenner von selbst nun mal nicht grüner wird? Weggewischt mit einem einzigen Wort: Technologieoffenheit. „Wenn es wirklich das Ziel ist, den Hochlauf der E-Mobilität zu beschleunigen und den Verkauf von Verbrennern auslaufen zu lassen, braucht es eine transparente und stringente politische Kommunikation“, sagt der Psychologe Brosch. „Solange die Botschaft aber lautet, dass noch nichts entschieden ist und vielleicht doch alles ganz anders kommt, dann passiert auch nichts.“ Die rationale Haltung der Bevölkerung sei dann: Erst mal abwarten, bis „die da oben“ sich geeinigt haben.

Eine Einigung auf EU-Ebene gibt es: Von 2035 an sollen keine neuen Verbrenner mehr in Umlauf gebracht werden. „Die Zukunft ist elektrisch“, sagte der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament Manfred Weber kürzlich bei Markus Lanz. Gleichzeitig versprach Weber – selbst begeisterter E-Auto-Fahrer – im Wahlkampf, er wolle das Verbrenner-Aus wieder „rückgängig machen“. Jenes Verbot, das die alte und wohl auch neue Kommissionspräsidentin seiner Partei Ursula von der Leyen durchgesetzt hatte und das den Autoherstellern Planungssicherheit verschaffen soll.

Auch im Deutschen Bundestag kann von Einigkeit keine Rede sein. Erst am vergangenen Donnerstag widmete sich das Parlament 45 Minuten einem Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel: „Technologieoffener Klimaschutz im Straßenverkehr – Kein Verbot des klimaneutralen Verbrennungsmotors“. 45 Minuten, in denen CDU und Ampel sich gegenseitig vorwarfen, die deutsche Automobilindustrie zugrunde zu richten, und das ganze Land gleich mit.

Aus Sicht der Unionspolitiker ist das Verbrenner-Aus für Neuwagen in der EU von 2035 an des Teufels, sie würden es gern wieder rückgängig machen. Die SPD hält das für „populistische Angstmache“ und „Industrieharakiri“, die Grünen sprechen von einer „Kampagne“ und werfen der Union vor, sie wolle „mit Verunsicherung die Debatte bestimmen“. Auch die FDP ist sauer, weil sie das Thema zuerst besetzt hatte und die wahre Anti-Verbrenner-Aus-Partei sein will. Ach ja, und die AfD will einfach E-Fuels – also synthetische, klimafreundlichere Kraftstoffe – ohne Steuer verkaufen, dann löse sich das Problem von allein. Wer auf eine klare Strategie der Politik oder zumindest der Ampelregierung setzt, muss sich wohl gedulden.

Firmenwagen könnten der E-Mobilität Schwung geben, aber kaum einer fährt elektrisch

Die Unsicherheit ist auch bei den Flottenchefs hiesiger Unternehmen zu spüren. Dabei könnten sie die E-Mobilität in die breite Masse bringen. Denn zwei Drittel aller Neuwagen, vor allem die teureren Modelle, werden von Unternehmen zugelassen. Diese stellen die Autos ihren Mitarbeitern zur Verfügung: Meist sind es Führungskräfte, oft aber auch Außendienstler oder Pflegekräfte, die Patienten zu Hause besuchen.

Nach ein paar Jahren in den Firmenflotten kommen die Fahrzeuge auf den Gebrauchtwagenmarkt und werden erschwinglich für Privatkunden. Das Problem ist nur: Auch hier ist von einem E-Auto-Boom nichts zu sehen – eher im Gegenteil. Nur 16 Prozent aller Firmenwagen in Deutschland waren laut einer Analyse der Verkehrsvereinigung Transport & Environment 2023 elektrisch – auf dem Privatmarkt lag der Anteil bei 25 Prozent. Damit liegen Deutschlands Flotten in Sachen E-Mobilität auf einem der drei hintersten Plätze in der EU.

Warum klappt es nicht mit den Dienstwagenfahrern und dem E-Auto? Nur wenige Unternehmen machen ihren Mitarbeitern Vorgaben, welche Autos sie fahren dürfen. Einige wie etwa die Allianz oder SAP setzen sich zumindest als Ziel für die nächsten Jahre, ihre Firmenflotte komplett auf Elektro umzustellen. Die Allianz will schon in diesem Jahr ihre Führungskräfte und Außendienstler nur noch E-Autos bestellen lassen, bis 2030 soll der komplette Fuhrpark vollelektrisch sein.

Allein in München hat der Versicherer mehr als 400 Ladepunkte auf seinen Parkplätzen geplant und den Großteil bereits gebaut. Und wer zu Hause laden will, kann sich eine Wallbox installieren lassen. „Wir möchten unseren internen Kunden den Umstieg auf ein E-Auto so einfach wie möglich machen“, erklärt Franz Fehlner, Flottenchef bei Allianz Services und verantwortlich für mehrere Tausend Firmenwagen.

Der Psychologe sieht eine Parallele zu den Grünen und dem Veggie-Day

Das alles kostet Geld. Budgets für Firmenwagen müssen erhöht werden, damit es genug Auswahl an E-Modellen gibt. Und auch der Aufbau einer eigenen Ladeinfrastruktur ist erst einmal eine größere Investition. Am Ende muss auch die Führungsriege hinter so einem Schritt stehen – was längst nicht bei allen Firmen der Fall ist. Wenn die Manager selbst ihre dicken Verbrenner behalten wollen, wird es schwierig, den Mitarbeitern etwas anderes vorzuschreiben. Vorgaben vonseiten der Politik für die Unternehmen, ihre Flotten grün zu machen, gibt es nicht. Zwar kosten E-Autos als Dienstwagen weniger Steuern, doch auch Plug-in-Hybride werden noch begünstigt. Deshalb greifen immer noch viele Mitarbeiter zum Hybrid, den sie dann aber selten elektrisch fahren. Die Geschichten vom Ladekabel, das bei der Rückgabe des Autos noch unausgepackt im Kofferraum liegt, erzählen mehrere Flottenchefs.

Fakt ist jedoch: Viele von denen, die noch nicht überzeugt sind, müssen ihre Meinung in den kommenden Jahren ändern, wenn die Elektrowende gelingen soll. Dennoch sei es enorm wichtig, diese Transformation in den Köpfen nicht zu sehr zu forcieren, warnt noch ein anderer Psychologe. Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologie an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg, beobachtet eine zunehmende „Stimmungsmache von rechter Seite“.

„Alles, was Richtung Transformation geht, wird von populistischen Kräften per se erstmal attackiert“, sagt er. „Und es wird suggeriert: Hier geschieht eine Veränderung gegen den Willen der Bevölkerung.“ Dass dem nicht so ist, dass kein Politiker je einen E-Auto-Zwang gefordert hat und dass es ab 2035 auch nicht verboten ist, seinen alten Verbrenner zu fahren: egal. Carbon sieht hier eine Parallele zu den Grünen und der Einführung eines Veggie-Days. Auch der sei ja kein Fleischverbot gewesen, „aber das Narrativ wird von politischen Gegnern so lange wiederholt, bis es am Stammtisch angekommen ist. Und da geht es so schnell nicht weg“.

Ein ähnliches Phänomen des „gefühlten Autonomieverlusts“ gebe es gerade bei der E-Mobilität. Das sei zwar kein rein deutsches Phänomen, „aber es ist in Deutschland besonders tragisch, weil wir als Land der Innovationsführer eine kontinuierliche Transformation der Wirtschaft unbedingt brauchen“, sagt Carbon. „In diesem Land besteht nicht mehr der Konsens, dass wir uns ständig neu erschaffen müssen.“

„Beim E-Auto kann ja nicht viel kaputtgehen“, sagt der Gebrauchtwagenhändler

In Stuttgart findet man ihn dann doch noch, den Gebrauchtwagenhändler, der auch E-Autos vertreibt. Rainer Oßmann, den man in seinem Laden OD Automobile im Stadtteil Feuerbach trifft, hat schon 2013 seinen ersten gebrauchten BMW i3 verkauft, einfach, um sein Portfolio zu erweitern, sagt er. Mittlerweile ist etwa jeder zehnte Gebrauchtwagen, den er und sein Partner hier verkaufen, elektrisch.

Der Stuttgarter Gebrauchtwagenhändler Rainer Oßmann preist die Vorzüge von Elektroautos. Er fährt selbst einen BMW i3. (Foto: Tobias Bug)

Um seine Kunden gut beraten zu können, fährt Oßmann selbst seit einem halben Jahr ein E-Auto. Er geht kurz raus auf den Hof, da steht zwischen all den anderen Autos sein BMW i3. Nur vier Euro zahle er für den Strom auf 100 Kilometer, statt 15 Euro beim Verbrenner. Auch die Wartungskosten seien um die Hälfte niedriger. „Beim E-Auto kann ja nicht viel kaputtgehen, außer die Bremsen“, sagt Oßmann. Und BMW gibt acht Jahre Garantie auf die Batterie, auf Verbrennerautos bekommt man normalerweise zwei. Dazu komme, dass die Preise für Elektroautos im vergangenen Jahr stark gesunken seien. Jetzt, sagt Oßmann, werde es langsam interessant: Gebrauchte E-Autos seien bald ungefähr gleich teuer wie vergleichbare gebrauchte Verbrenner. Kommt sie also bald, die große Elektrowelle?

„Der Kunde, der ein E-Auto kauft, der kauft ganz gezielt ein E-Auto“, sagt Oßmann. Der habe zum Beispiel eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und wisse, dass er mit einem elektrischen Antrieb Geld sparen würde. Und er sagt: Jemanden von einem Elektroauto zu überzeugen, der eigentlich einen Verbrenner kaufen will, das mache keinen Sinn. Das probiert er erst gar nicht.

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