“Die Discounter”-Regisseure über Scham, Chefs und Supermärkte

Mit ihrer Serie “Die Discounter” haben die 23-jährigen Regisseure Bruno Alexander, Emil und Oskar Belton einen Riesenerfolg gelandet. Zum Start der zweiten Staffel sprechen sie im stern-Interview über Scham, die deutsche TV-Landschaft und Kleine-Brüder-Mentalität.

Die drei Regisseure von “Die Discounter” sind gefragt. In München haben sie für ihre Supermarkt-Serie gerade den “Blauen Panther”-Publikumspreis entgegen genommen. Die Kommunikation mit ihnen läuft über eine Presseagentur, das Treffen mit dem stern klappt an einem sonnigen Mittwoch um 14 Uhr Anfang November. Von der Sonne haben die drei an diesem Tag aber noch nicht allzu viel gesehen. Sie seien gerade aufgestanden, sagen Emil und Oskar Belton und besänftigen mit routinierten Handgriffen ihre Tollen. 

Den Treffpunkt haben die drei vorgeschlagen, ein Bistro in Hamburg-Rotherbaum, dem Stadtteil ihrer WG. Hier machen sie gerade für ein neues Projekt die Nächte durch. Nachts schneiden sei viel besser, sagen sie. Dieses Feeling. Keine Termine. Keiner nervt. Jetzt wollen gerade viele was, ab 11. November läuft die zweite Staffel von “Die Discounter” auf Amazon Prime – von drei Regisseuren, die 23 sind. 

Oskar Belton bestellt eine zuckerfreie Cola, Bruno Alexander einen Kamillentee und eine kleine Apfelschorle, Emil Belton eine große Apfelschorle. Sie sind da, sie werden wach und es geht los.

Wie oft wurdet ihr im vergangenen Jahr im Supermarkt angesprochen?
Bruno: Ich wurde nur ein einziges Mal angesprochen an der Kasse. Da hat die Kassiererin gesagt, dass sie “Die Discounter” voll fühlen. Das ist natürlich geil.

Oskar: Letztens kam ein Filialleiter auf uns zu und meinte: Ey, Leute, Riesenfan, lass mal ‘n Foto machen.

Emil: Wenn wir zu dritt unterwegs sind, werden wir schon oft angesprochen. Weil man uns als Trio kennt.

Bruno: Beim Feiern ist es krass. Wir waren nach dem Abschluss der zweiten Staffel mit dem ganzen “Discounter”-Cast zusammen im Club. Die Leute kamen gar nicht klar. 

Wie unterscheidet sich die zweite Staffel von “Die Discounter” von der ersten?
Bruno: Es ist alles eingespielter. In der ersten Staffel haben wir noch das Rezept gesucht. Die zweite ist rasanter. Sie ist dichter. Es ist noch unangenehmer. Und es sind wieder einige Stars dabei.

Emil: Wir haben unter anderem Mats Hummels und Caro Daur.

Oskar: Wir haben Milena Tscharntke und Paula Hartmann. Wir haben Adam Bousdoukos.

Emil Belton, Bruno Alexander und Oskar Belton in einem Bistro in Hamburg-Rotherbaum

© Aliona Kardash

Sind nach der ersten Staffel Stars auf euch zugekommen, weil sie unbedingt mitspielen wollten?
Emil: Oh ja, so viele. Kollegah und Mats Hummels haben Bruno angeschrieben. Und auch der Casterin haben echt viele geschrieben. Aber irgendwann mussten wir dann sagen, ne, sorry Leute, das ist kein Ablegeplatz für Cameo-Auftritte.

Sonst alles beim Alten bei Feinkost Kolinski in Altona?
Emil: Ja. Der Cast wird der gleiche sein wie in der ersten Staffel.

Vor der ersten Staffel hattet ihr ein Praktikum in einem Supermarkt gemacht. Sollte man als Regisseur selbst erlebt haben, was man zeigt?

Bruno: Unser Anspruch ist es auf jeden Fall. Wir wollen authentisch und spezifisch sein. Das kriegt man nur, wenn man das selber miterlebt und Leute befragt. 

Emil: Wenn uns eine Mitarbeiterin zum Beispiel erzählt, ihr Chef habe sie auf die Tanzfläche geschickt, dann fragen wir: Was heißt das? Tanzfläche, das ist die Fläche, wo du arbeitest. So was suchen wir. Diese kleinen, echten Sachen.

Oskar: Wir standen früher selber viel vor der Kamera in Krimis und Fernsehserien. Das Gegenbeispiel zu unserem Vorgehen ist, wenn zum Beispiel 50-jährige Drehbuchautor:innen versuchen, was über die Jugend zu erzählen und sich damit nicht auskennen. Dann merkt man, dass das irgendwie nicht echt ist. Dann verkauft man als 14-Jähriger auf dem Schulhof Crystal Meth. Ich habe noch nie Crystal Meth gesehen.

Bruno: Das mussten wir für uns auch erst mal selber lernen, dass wir eben die Storys erzählen, die wir wirklich erzählen können. Und das sind die zwischenmenschlichen kleinen Momente. “Discounter” ist ja auch nicht wirklich in erster Linie eine Supermarktserie. Sondern es geht um die Menschen, die in diesem Supermarkt arbeiten. Der Supermarkt bietet sich nur gut an, weil unterschiedlichste Menschen auf engem Raum miteinander auskommen müssen.

Authentizität ist euch wichtig. Ist es wirklich authentisch, dass der Chef so doof ist?
Emil: Das haben sehr viele erzählt.

Bruno: So viele.

Emil: Wir haben tatsächlich Chefs kennengelernt, die fast so waren wie Torsten.

Oskar: Wir haben Sachen gehört, da mussten wir beim Erzählen untertreiben, weil das niemand glauben würde.

Emil: Wir haben von Mitarbeiter:innen gehört, die gar nicht mehr in Supermärkten einkaufen, sondern nur noch in Bioläden oder so kleinen Läden. Was die da alles machen mit ihrer Ware, das ist widerlich.

Oskar: Es haben mal zwei Leute in eine Putzmaschine gepisst und dann wurde der ganze Markt damit gereinigt. Der hat zwei Wochen lang nach Urin gestunken.

Die Serie lebt stark von ihren Dialogen. Ihr gebt nur ein Grundgerüst vor, der Rest ist improvisiert. Was macht einen guten Dialog aus?
Emil: Ein Ping-Pong-Spiel. Wenn beide zusammenspielen.

Oskar: Man muss sich auch zurücknehmen können. Die Szene wird nur gut, wenn man gar nicht darüber nachdenkt, dass man gerade in einer Szene steckt. Alle sagen immer, Impro ist megakrass und megaschwer, aber Impro ist eigentlich die viel leichtere Version von Schauspielen.

Emil: Für manche. Für andere gar nicht.

Bruno: Eine gute Szene macht auch aus, wenn sie nicht zwingend etwas vorantreiben möchte. Vieles bei “Discounter” ist extrem nichtig.

Wie kam es dazu, dass damals drei 22-Jährige eine Amazon-Serie gedreht haben?
Oskar: Durch “Intimate”, eine Webserie, die wir bei Youtube hochgeladen hatten. Wir haben halt immer ganz vielen Leuten gesagt, dass sie Christian Ulmen bitte sagen sollen, dass wir die Serie drehen. Wir haben ihn dann auch richtig oft auf Instagram genervt. Immer wenn wir jemanden kannten, der an seinem Set mit Christian gearbeitet hat, haben wir ihm direkt den Link geschickt. Und dann hat er irgendwann angebissen und ‘ne Sprachnachricht geschickt bei Instagram. Dann meinte er so: Ey, Leute, ich habe hier eine Serie auf dem Tisch. Wollt ihr die drehen?

Emil: Zwei Monate später waren wir dann auch schon am Set. Ich denke, es lag primär auch einfach am selben Humor und an derselben Erzählweise.

Oskar: Wir erzählen keine klassischen Witze wie in Comedy Shows, sondern versuchen, den Witz im Zwischenmenschlichen und in der Scham zu finden.

Die “Discounter” erinnert schon sehr an Formate von Christian Ulmen und seinen Humor zum Beispiel in “Jerks”. Wie viel Ulmen steckt in “Discounter” und wie viel wirklich von euch?
Oskar: Wir haben den gleichen Humor. Aber Christian und sein Kollege Carsten Kelber haben uns wirklich einfach machen lassen, aber viele wichtige Tipps gegeben. Die Drehbücher haben wir dann komplett selber geschrieben, den Schnitt haben wir komplett selber gemacht.

Was hat euch schon so früh für Film begeistert?
Emil: Wir haben einfach alles ausprobiert. Musik, alle Sportarten, irgendwelche komischen Geschäftsideen. Film und Schauspiel haben einfach am besten funktioniert.

Oskar: Wir waren eben auch schon immer große Fans vom Scheiße bauen. Jeder von uns saß in tausenden Disziplinarkonferenzen, der ein oder andere ist sogar geflogen. Beim Film konntest du das halt alles machen, ohne dass dir jemand ein Elterngespräch aufdrückt.  

Bruno: Wir haben halt immer ein Medium gesucht, um Storys zu erzählen und um unsere Gedanken loszuwerden. Als wir “Intimate” gedreht haben, ging es auch einfach immer superschnell. Wir haben gar nicht groß gesprochen oder irgendwas geschrieben, sondern einfach die Kamera draufgehalten. Die geilsten Sachen sind immer aus dem Moment entstanden.

In den letzten Jahren haben sich viele deutsche YouTuber am Sprung ins Fernsehen oder die Streamingdienste versucht. Warum hat bei euch geklappt, was bei anderen in der Regel cringe wirkt?
Oskar: Wir machen denselben Scheiß wie früher mit mehr Budget. Bei Entertainern und klassischen YouTubern geht es primär um Selbstdarstellung. Bei uns war alles immer fiktiv. Diese Formate, in denen Content Creator auf einmal schauspielern, floppen, weil die Leute sie so nicht sehen wollen.

Emil: Wir versuchen in unseren Formaten auch einfach nicht geil auszusehen und versuchen so wenig wie möglich zu wirken wie eine Boyband. Niemand nimmt sich zu ernst und alle nehmen sich gegenseitig hops. Deshalb wirkt bei “Discounter” auch eben niemand so richtig geil. Das sind alles eher verlorene Seelen.

Bruno: Das Witzige ist, beide Formate sind cringe. Wir begeben uns mit Absicht in unangenehme Situationen, die anderen eher ungewollt.

Wann war euch zuletzt mal was so richtig peinlich?
Emil: Uns passieren ständig dolle peinliche Sachen.

Oskar holt sein Handy raus und schaut etwas nach.

Oskar: Wenn mir etwas passiert, dann schreibe ich das gleich auf, weil das alles Stoff für “Intimate” und “Discounter” ist. Oh, hier ist was, das kann ich aber leider nicht erzählen. Das ist zu heftig. Das seht ihr dann vielleicht bei der nächsten “Intimate”-Staffel.

Bruno: Ich hab neulich in der Bahn mit einem 50-Euro-Schein gezahlt und habe aus Versehen so was gesagt wie: Stimmt so. Und sie so: Oh, mein Gott. Das musste ich dann leider revidieren. So etwas ist mir unglaublich unangenehm.

Oskar: Ich wollte eine neue Hose einkaufen. Die Kabinen waren zu voll, dann habe ich mich auf der Fläche umgezogen. Ich hatte mir gerade die Hose ausgezogen und auch noch ein bisschen die Unterhose, da kam eine Mitarbeiterin und meinte: Sie dürfen sich hier nicht auf der Fläche ausziehen. Wenn ich jetzt dran denke, werde ich schon rot, weil es so peinlich war. Das war so schlimm. Und ich hatte vorher gedacht, mit ihr geflirtet zu haben, weil ich sie eigentlich ganz hübsch fand. Das wurde aber nicht erwidert. Ich glaube, sie dachte, ich bin ein Perverser. Das war der Horror, Digga. Ich bin auch direkt raus, dann. Nix gekauft.

Drei junge Männer sitzen an einem Tisch und schauen auf ihre Handys

Wenn ihnen im Alltag eine Situation begegnet, die zu “Die Discounter” oder einem anderen Projekt passen könnte, schreiben es die drei Regisseure sofort auf

© Aliona Kardash

Ihr kennt euch aus der Schule. Zwölf Jahre später habt ihr eure eigene Produktionsfirma “Kleine Brüder” gegründet. 
Bruno: Emil, Leo Fuchs und ich waren in der gleichen Klasse, Oskar in der Parallelklasse. Im Laufe der Jahre haben wir dann auch Max kennengelernt. Zusammen machen wir “Kleine Brüder”. Als wir dann unser Abi in der Tasche hatten, war kurz Stillstand und wir wussten nicht genau, was wir machen sollen. Da kam der Gedanke, eine Produktionsfirma zu gründen, die junge Menschen anspricht.

Zuerst haben wir nur an Werbung gedacht, aber dann ging alles so schnell mit Christian und Carsten. Mittlerweile machen wir mit “Kleine Brüder” gar keine Werbung mehr, sondern produzieren ausschließlich Serien. 

Und wieso dieser ungewöhnliche Name “Kleine Brüder”?
Wir sind eben alles kleine Geschwister und hatten immer diesen Drang zur Rebellion. Wir wollten immer so weit sein, wie unsere großen Geschwister. Dadurch entwickelt man eine gewisse Rastlosigkeit.

Wie sehr trennt ihr Freundschaft und Business in schwierigen Momenten?
Bruno: Früher haben wir auch immer den Spruch gehabt: Wir müssen Freundschaft und Business trennen. Mittlerweile denke ich, das macht nicht so viel Sinn, weil es grade unser großer Vorteil ist, dass wir uns so lange kennen und gerne zusammen Business machen.

Oskar: Zusammen Business machen klingt auch einfach übertrieben bescheuert. (lacht)

Bruno:Unser großer Vorteil ist eben, dass wir nicht alleine irgendwo rein geschmissen werden und uns alleine beweisen müssen. Das macht viele Situationen einfach leichter. Beim Schreiben kann man sich auch einfach schnell verrennen, dann müssen die anderen einen einfangen und sagen: Das ist scheiße. Sonst wird ein Drehbuch schnell cringe.

Man fühlt sich also nicht als drittes Rad unter Zwillingen?
Bruno: Ne, so habe ich mich eigentlich nie gefühlt.

Oskar:Bruno ist auch einfach eher ein dritter Zwilling als ein Freund. Emil checkt mich genauso gut wie Bruno mich checkt.

Nach “Discounter” jetzt also nochmal “Intimate”: Was kann man von eurer neuen Serie erwarten?
Emil: Wir haben “Intimate” nochmal komplett neu gemacht für ProSieben&Joyn. Das hat eigentlich nichts mehr mit der ursprünglichen Webserie zu tun. Neues Drehbuch, neue Geschichten, neue Figuren. Das war früher schon ziemlich unstrukturiert und eintönig. Wir haben früher halt wirklich für 0 Euro gedreht und mussten den Ton und die Kamera gleichzeitig halten. Jetzt können wir uns komplett auf die Kreativität konzentrieren.

Es sind aber die gleichen fünf Typen, also Oskar, Bruno, Max, unser Producer, Leo und ich. Es geht auch immer noch um peinliche Momente aus unserem Alltag und dieselben Themen wie in der Jugend. Der größte Unterschied ist, dass es viel diverser geworden ist. Die weiblichen Rollen sind viel stärker. Damals waren Frauenrollen oft einfach nur Dates.

Bruno: Wir haben viel gelernt. Wir gehen zum Beispiel auch viel bewusster damit um, dass wir eben fünf weiße, privilegierte Jungs aus Eimsbüttel sind. Das lassen wir uns auch spüren.

Wieso habt ihr die alten Folgen von Youtube genommen?
Oskar: Weil wir sie viel zu sexistisch fanden. Es war halt einfach klassischer jugendlicher Pimmelhumor.

Bruno: Mir wäre es schon unangenehm, wenn die Leute “Intimate” googeln und denken, sie würden jetzt genau die Serie erwarten. Vieles davon war auch einfach schlecht und trashig. Vielleicht laden wir die alten Folgen irgendwann nochmal aus Nostalgie hoch. Dann steht “Intimate” hoffentlich schon für was anderes.

source site-8