Versucht die Schweiz, die EU anzufreunden? – EURACTIV.com


Der Schweizer Bundesrat hat beschlossen, aus dem Rahmenabkommen mit der Europäischen Union auszutreten. Jetzt müsse unbedingt klargestellt werden, dass beide Seiten eine ganz andere Art von Beziehung verfolgen, schreibt Stefan Legge.

Stefan Legge ist Wirtschaftsdozent an der Universität St. Gallen.

Nach siebenjährigen Verhandlungen hat der Schweizer Bundesrat das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union begraben. Es ist ein viel diskutiertes Thema, doch ein zentraler Punkt blieb bislang unausgesprochen: Die EU und die Schweiz stellen sich eine ganz andere Grundlage der Beziehung vor. Dies ist der Kern vieler Missverständnisse, der Kern der aktuellen Ablehnung und auch der Kern zukünftiger Diskussionen.

Um diesen Punkt besser zu verstehen, betrachten Sie ein Beispiel. Nehmen wir an, eine Person namens Peter ist seit rund zwanzig Jahren Kunde des Autohauses Leyen. Alle paar Jahre kauft er dort ein neues Auto und bringt es dann auch regelmäßig zum Service. Er kennt den Besitzer des Autohauses, sogar ihren Mann, der auch gelegentlich vor Ort ist. Peter ist mit dem Autohaus sehr zufrieden und umgekehrt ist er auch ein geschätzter Kunde.

Doch nach 20 Jahren beschließt Peter, seinen nächsten Neuwagen einer anderen Marke bei einem anderen Händler zu kaufen. Für ihn ist das kein Problem. Die Beziehung zu Frau Leyen war immer transaktional, also rein auf wirtschaftliche Kooperationen, Geschäftstransaktionen ausgerichtet. Sie sprachen von einer Freundschaft, sprachen ab und zu über private Themen und der Händler schickte jedes Jahr zu Weihnachten eine Flasche Wein. Aber aus Peters Sicht war die Beziehung rein transaktional. Doch wie wird Frau Leyen reagieren, wenn sie erfährt, dass Peter sein neues Auto inzwischen woanders gekauft hat?

Dieses Problem tritt zwischen vielen Menschen auf, wenn eine Seite eine transaktionale Beziehung annimmt, die andere Seite jedoch eine emotionale Beziehung. Und es wird nur noch schlimmer, wenn die ehemalige Person die Situation ausnutzt.

Zum Beispiel, wenn Peter in unserem Beispiel jahrelang mit der Illusion einer Freundschaft mitgespielt hat, um bessere Konditionen zu bekommen. Vielleicht hat er solche Bedingungen auch erhalten, ohne sich allzu viele Gedanken über die Beziehung zu machen. Jedenfalls kann die Beziehung schnell ganz kippen, wenn sie von Frau Leyen zuvor als emotional, freundschaftlich empfunden wurde.

Dagegen kann eine für beide Seiten eindeutig transaktionale Beziehung jederzeit unterbrochen oder ganz beendet werden, ohne größere Enttäuschungen oder gar Ärger auszulösen. Emotionale Beziehungen sind eine ganz andere Sache.

Angewendet auf das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist festzuhalten, dass die Schweiz seit Jahrzehnten eine Transaktionsbeziehung mit der Europäischen Union anstrebt. Die Schweizer mögen die Franzosen oder die Deutschen genauso wie Peter das Autohaus Leyen. Man schätzt die Zusammenarbeit und wechselt ständig zwischen Lieferant und Kunde. Mal bietet die Schweiz ihre Waren und Dienstleistungen an, mal kauft sie sie aus der EU – doch die Beziehung war aus Schweizer Sicht immer transaktional.

Brüsseler Vertreter sehen die Sache jedoch ganz anders. Der europäische Binnenmarkt, das europäische Projekt, der europäische Einigungsprozess – es sind größere Ideen und emotionalere Ansichten am Werk. Auch gegenüber der Schweiz können nur die sprichwörtlichen Brüsseler Technokraten eine nüchterne, kühle, transaktionale Haltung einnehmen. Viele hingegen sehen im Zentrum der EU ein klaffendes Loch, das geschlossen werden sollte.

Vertreter der Europäischen Union haben oft tief verwurzelte historische Entwicklungen im Blick. Jahrhundertelang litten die Menschen in Europa unter der fehlenden europäischen Einigung. Unzählige Kriege hinterließen regelmäßig Verwüstung und Leid. Diese wiederkehrenden Katastrophen mussten nach dem schlimmsten aller Kriege, dem Zweiten Weltkrieg, endlich ein für alle Mal bewältigt werden. Über Jahrzehnte und in einem schmerzhaften Prozess wurde die EU geboren. Und selbst Krisen der jüngeren Vergangenheit wie die Euro-Krise werden als Folge mangelnder europäischer Kooperation und Integration gesehen: Damit die gemeinsame Währung funktioniert, braucht es eine Fiskalunion.

Die Schweiz hingegen war bei allen Kriegen, Katastrophen und Krisen im Grunde nur Zuschauer. Dadurch hat es ein ganz anderes Verhältnis zu historischen Ereignissen. Eine in Europa verbreitete Geschichtsauffassung kann daher nur bedingt geteilt werden. Stattdessen nehmen die Schweizerinnen und Schweizer die Geschichte meist nüchterner und nüchterner wahr. Dies erschwert den bilateralen Umgang und die Kommunikation mit der EU.

Wenn die Schweiz ihre Beziehungen zur EU weiter pflegen will – und alles andere wäre kaum im Interesse des Landes – ist es jetzt entscheidend, ihre grundsätzliche Position zu klären. Beiden Seiten muss klar sein, welche Art von Beziehung sie im Wesentlichen anstreben.

Ob es der Schweiz gelingen wird, eine rein transaktionale Beziehung zu erreichen, ist jedoch offen. Auch die Briten mussten nach der Brexit-Entscheidung lernen, dass die EU den Wechsel von einer emotionalen, freundschaftlichen Beziehung zu einer nüchternen, wirtschaftlichen und rein transaktionalen nicht gerne vollzieht. Ein Freihandelsabkommen wurde unterzeichnet, doch das Verhältnis gilt als frostig und wird es auch noch auf Jahre bleiben.

Im obigen Beispiel könnte Peter ohne Probleme für sein nächstes Auto zu Frau Leyen zurückkehren. Der Schweizer Bundesrat wird es schwerer haben, sich mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu einigen.

Schweizer Schrottgespräche mit EU über Kooperationsabkommen

Die Schweiz hat am Mittwoch (26. Mai) jahrelange Gespräche mit der Europäischen Union zum Abschluss eines Kooperationsabkommens mit Berns grösstem Handelspartner abgebrochen, was Brüssel verärgert.





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