Markus Söder: Bayerns NIMBY-Chef – POLITICO

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Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und seine Vorgänger kämpften jahrelang gegen Windenergieprojekte und Hochspannungsleitungen, von denen sie befürchteten, dass sie die malerischen Aussichten des Landes beeinträchtigen würden.

Jetzt ist kein anderes deutsches Bundesland mehr abhängig von russischem Gas oder Atomkraft, und Bayern muss sich bemühen, sicherzustellen, dass die Lichter nicht ausgehen, wenn Moskau die Hähne zudreht.

Söder, der einst mit Rücktritt als bayerischer Umweltminister gedroht hatte, wenn Deutschlands Atomkraftwerke nicht Ende 2022 abgeschaltet würden, setzt sich nun dafür ein, dass sie am Laufen bleiben – und dass der Norden die Defizite des Südens kompensiert.

Söder drängt zwar auf mehr Atomkraft, lehnt jedoch jede Lagerung radioaktiver Abfälle in seinem Bundesland ab. Er hält auch mehr Windenergie für eine großartige Idee – im Norden, nicht in den sanften Hügeln Bayerns – und schlug kürzlich vor, Deutschland solle sich mit Fracking befassen, um mehr Gas zu sichern, insbesondere in Niedersachsen, in sicherer Entfernung von München.

Deutschlands Norden ist nicht amüsiert.

„Hast du es verloren?“ antwortete Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil. „Lieber Markus Söder, wie sieht es mit der Windkraft in Bayern aus?“

Olaf Lies, Weils Umweltminister, verdoppelte sich in einer langen Erklärung. Söder, „König der NIMBYs“, ernte „die Früchte seines eigenen energiepolitischen Versagens … und sie schmecken bitter“, sagte er.

Macht verlieren

Bayern war vor zehn Jahren Netto-Stromexporteur und verfügte über eines der emissionsärmsten Stromsysteme Deutschlands. Mit fünf Kernkraftwerken, großen Wasserkraftressourcen und wenig Kohle wurde 2011 nur etwa ein Fünftel des Stroms des Landes aus fossilen Brennstoffen erzeugt.

Im selben Jahr beschloss Deutschland, seine Reaktoren bis 2022 abzuschalten – eine Entscheidung der Regierung in Berlin, aber nicht gegen den Willen Bayerns: Die CSU, die nur in Bayern operiert und das Land für regiert hat Jahrzehnte vor der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Ausstieg aufgerufen.

Eine Schlüsselfigur des CSU-Vorstoßes war Söder, damals Umweltminister in München. Jetzt kämpft er als Ministerpräsident dafür, Bayerns letztes Atomkraftwerk am Laufen zu halten, da der Staat in diesem Winter nicht nur ein Gasproblem, sondern auch eine Stromkrise befürchtet.

Bayern hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem Nettoimporteur von Strom entwickelt, da es versäumt hat, die Kernenergie durch andere Quellen zu ersetzen.

Kernenergie erzeugt immer noch etwa 12 Prozent des bayerischen Stroms – verglichen mit 6 Prozent bundesweit – und Gaskraft war 2020 für 16 Prozent verantwortlich, verglichen mit 12 Prozent bundesweit.

„Wir haben in den vergangenen 10 Jahren unsere bedarfsgerechte Stromerzeugung mit Kernkraftwerken fast vollständig abgebaut und keinen adäquaten Ersatz gebaut“, sagt Detlef Fischer, Geschäftsführer des Bayerischen Landesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft VBEW.

„Unsere 700.000 Solaranlagen nützen im Winter wenig, und wir haben auch keine Speichermöglichkeiten“, fügt er hinzu.

Unterdessen hängt Bayern sowohl für direkte Lieferungen aus einer Pipeline, die in Nordbayern ankommt, als auch für indirekte Importe aus anderen Bundesländern und Ländern bei 90 Prozent seiner Gasversorgung von Russland ab, teilte der Wirtschaftsverband des Landes im Mai mit.

Auch der Staat ist maßgeblich auf einen in Österreich gelegenen Gasspeicher angewiesen, den Wien nun für den Eigenbedarf anzapfen will.

Die Besorgnis über die Anfälligkeit des Landes hat die Bundesregierung erreicht, deren Neubewertung, ob der Atomausstieg verschoben werden soll, teilweise von der Angst vor einer Stromknappheit in Bayern getrieben wird.

Berlins andere kurzfristige Maßnahmen zur Bekämpfung der Gaskrise – Flüssigerdgasimporte und Kohle – werden für das kohlearme Binnenland Bayern nur von begrenztem Nutzen sein.

Das Ausdehnen von Kernbrennstoff in den Frühling könnte dazu beitragen, Stromausfälle in Bayern zu verhindern, wenn ein strenger Winter mit einer Gasknappheit und einer höheren Nachfrage durch den Einsatz von Elektroheizungen zusammenfällt, sagte Michael Sterner, Professor für Energiesysteme an der Universität Regensburg.

„Aber es wird ein Jahrzehnt des Versagens der Energiepolitik nicht rückgängig machen“, warnte er.

Nicht in unserem Bayern

Kritiker machen die Nimby-Attitüde der CSU für Bayerns Energienöte verantwortlich.

Dank Solarboom und Wasserkraft ist die Hälfte der Stromerzeugung des Landes erneuerbar. Doch das Wachstum der Windenergie geriet unter der Kampagne der CSU gegen Turbinen ins Stocken.

Im Jahr 2014 erließ die Partei ein restriktives Gesetz namens 10H, das Windanlagen nur in einem Abstand von der 10-fachen Höhe der Turbine von Wohngebäuden erlaubte – die Windausdehnung stark einschränken – mit dem Gelübde, „die typisch bayerische Landschaft nicht zu opfern“.

Die Partei wetterte auch gegen „monströse“ Hochspannungsleitungen, die erneuerbaren Strom von Deutschlands windgepeitschter Nordseeküste oder östlichen Kohlestrom in die Alpen bringen sollten. Bayern entschied sich schließlich für teurere Erdkabel; sie sind immer noch nicht in Betrieb.

„Netzausbau verzögert, Erneuerbaren-Ausbau torpediert, Abhängigkeit von Russland gestiegen“, so die Grünen-Landesvorsitzende Katharina Schulze sagte. „Durch die CSU-Politik ist unser schönes Bayern jetzt besonders gefährdet.“

Die Grünen sind Bayerns wichtigste Opposition, und Söder steht im nächsten Jahr vor einer Neuwahl; Während die CSU in den Umfragen weiterhin weit vorne liegt, ist die Mehrheit der Koalition in Gefahr.

Doch Kritik kommt zunehmend von CSU-Verbündeten.

Die Freien Wähler, die Koalitionspartner der CSU in München, bezeichneten 10H als „Fehler“. Der von der CSU geführte Landschafts- und Kulturpflegeverband forderte mehr Turbinen. Eben Vogelschützer forderten die Abschaffung des Gesetzes.

Ilse Aigner, eine hochrangige CSU-Persönlichkeit und Präsidentin des bayerischen Landtags, räumte diesen Monat ein, dass der Widerstand der Partei gegen Stromleitungen dazu beigetragen habe, den Staat „abhängiger als andere von Atomkraftwerken“ zu machen.

Unter wachsendem Druck ließ die CSU im Frühjahr 10H verwässern, um den Bau von 800 Turbinen in Bayern zu ermöglichen.

Branchenprobleme

Die bayerische Staatskanzlei reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme. Söder weist bisher jede Verantwortung zurück und bezeichnet die jüngste Kritik als „Bayern-Bashing“.

„Ich finde die Ausrichtung auf Bayern etwas übertrieben“, sagte Fischer vom VBEW. „Die Energiekrise ist definitiv ein deutschland- und europaweites Problem.“

Auch andere Staaten hinken beim Wind hinterher. Baden-Württemberg wird seit einem Jahrzehnt von einer grünen Regierung geführt, und Turbinen bedecken nur 0,2 Prozent der Landesfläche, verglichen mit Bayerns 0,68 Prozent und dem Bundesziel von 2 Prozent. Die lokale Regierung, die bis 2026 1.000 Turbinen bauen wollte, macht regulatorische Probleme des Bundes dafür verantwortlich.

Doch im Falle einer Energieknappheit kann Baden-Württemberg auf Kohle zurückgreifen und das Land Gas über Frankreich, Belgien und die Niederlande beziehen. Viele östliche und zentrale Bundesstaaten verfügen über erhebliche Kohlekraftwerkskapazitäten, während die nördlichen Bundesstaaten über Windkraft verfügen.

Fischer warnte davor, dass die Importabhängigkeit Bayerns besonders anfällig mache, wenn auch in den Nachbarländern Strom und Gas knapp würden.

Sterner von der Universität Regensburg sagte, selbst wenn Bayern diesen Winter relativ unbeschadet überstehe, hätte der langsame Wind- und Netzausbau schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft des Landes.

Bayern ist eines der reichsten Bundesländer Deutschlands, Heimat multinationaler Giganten und prosperierender Familienunternehmen. Aber zunehmend entscheidet sich die Industrie dafür, sich weiter nördlich anzusiedeln – in der Nähe von reichlich vorhandener Windenergie.

Teslas Gigafactory hat sich für Brandenburg entschieden. Intels neues Halbleiterwerk entsteht in Sachsen-Anhalt. Der schwedische Batterieentwickler Northvolt hat sich kürzlich für Schleswig-Holstein entschieden und die Region als „Deutschlands Tal für saubere Energie“ gepriesen.

„Schaut mal, wohin die neuen Unternehmen in Deutschland gehen. Sie wollen mit klimaneutralem und bezahlbarem Strom produzieren“, sagte Sterner. „Söders Politik riskiert die Deindustrialisierung Bayerns.“

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