Trans* Männer, die ihren Körper durch eine Hormonbehandlung oder Operationen modifizieren möchten, sind auf besondere Weise auf das Gesundheitswesen angewiesen. Doch Expert*innen kritisieren den erschwerten Zugang zu Behandlungen und Diskriminierungen.
Wir alle werden schon direkt nach der Geburt nach unserem Geschlecht unterschieden – in männlich und weiblich. Doch nicht für jede Person passt diese Zuteilung. Einige Personen identifizieren sich mit einem anderen Geschlecht. Lange galt es in der Medizin als psychische Störung. Das hat sich zwar durch einen neuen Diagnosekatalog geändert, das alte Bild wirkt aber nach. Für trans* Männer ist das ein großes Problem, denn sie sind sehr stark auf das Gesundheitswesen angewiesen, wenn sie ihren Körper an das Geschlecht anpassen lassen möchten, mit dem sie sich identifizieren. Wie trans* Expert*innen auf das Gesundheitssystem und Männergesundheit blicken.
Welche Kriterien spielen für die Diagnose eine Rolle?
ICD-10 oder ICD-11 wird den meisten Menschen nicht viel sagen. Es ist ein Klassifikationssystem, dass auf der ganzen Welt benutzt wird, um Krankheiten zu definieren. Die Kataloge werden immer nach neuen wissenschaftlichen Kriterien angepasst, ICD-11 ist quasi das Update – für die trans*-Community beinhaltet es eine wichtige Änderung. Es ist in Deutschland Anfang 2022 in Kraft getreten. Es gilt für ihre Umsetzung eine Übergangsfrist von fünf Jahren. Transidentität wird in diesem Diagnosekatalog nicht länger als psychische Störung definiert. Heißt: trans* Personen gelten nach diesem Katalog nicht länger als krank, sondern dieser Katalog ermöglicht eine Behandlung eines möglichen Leidensdrucks, der entstehen kann.
Wodurch entsteht der Leidensdruck?
“Der hier gemeinte Leidensdruck von trans* Personen kann durch Dysphorie entstehen. Nach der Definition im nordamerikanischen Diagnosemanual DSM-5 ist Geschlechtsdysphorie das Leiden an der Geschlechtsinkongruenz, also der Nichtübereinstimmung zwischen biologischem Geschlecht und tatsächlicher, gefühlter Geschlechtsidentität. Manche trans* Personen leiden mehr am eigenen Körper, andere leiden mehr an dem Blick auf ihren Körper, auf sie, von außen”, erklärt Dr. Samuel Niehaus, Psychotherapiewissenschaftler und Projektleiter von “trans*support/Fachstelle für trans* Beratung und Bildung” im Gespräch mit dem stern.
Durch Hormonbehandlung und Operationen lässt sich der Körper an das gewünschte Geschlecht angleichen. Was geht dem voraus?
Gehen wir zum Arzt oder zur Ärztin, weil wir einen Schnupfen haben, übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für die Behandlung. Anders ist es bei trans* Männern, die eine medizinische Transition machen möchten. Lara Hofstadt vom Magnus-Hirschfeld-Center in Hamburg sagt im Gespräch mit dem stern: “Möchte eine trans* Person eine medizinische Transition machen, muss sie die geschlechtsangleichenden Operationen bei der Krankenkasse genehmigen lassen, um diese bezahlt zu bekommen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen prüft dieses Anliegen und empfiehlt der gesetzlichen Krankenkasse dann, ob sie die Behandlung genehmigen sollte oder nicht.”
Der GKV-Spitzenverband der Krankenkassen hat eine Begutachtungsrichtlinie, nach der beurteilt wird, ob die betroffene Person die gewünschte Operation bezahlt bekommt oder nicht. Eine Bedingung: Mindestens ein halbes Jahr Psychotherapie, und zwar 12 Sitzungen á 50 Minuten. Am Ende der Therapie wird ein Gutachten ausgestellt.
Wer eine Hormonbehandlung machen möchte, muss sie nicht bei der Krankenkasse genehmigen lassen. Doch auch hier ist nach den Richtlinien des Medizinisches Dienstes eine Kurzzeittherapie nötig. Trans* Personen, die eine Hormonbehandlung machen möchten, benötigen dann ein sogenanntes Indikationsscheiben, welches die medizinische Notwendigkeit bescheinigt.
Welche Kritikpunkte gibt es an den Vorgaben der Krankenkassen ?
Verpflichtende Psychotherapie:
“Möglicherweise erscheint sechs Monate Psychotherapie für einige auf den ersten Blick gar nicht so viel verlangt. Die Krux ist aber: Wir sind nicht krank. Es handelt sich um Zwangspsychotherapie. Manche können die Sitzungen nutzen und für sich etwas Gutes rausholen, aber Psychotherapie unter Zwang? Das kann doch gar nicht funktionieren. Ich weiß aus der Beratung und ich kann auch aus eigener Erfahrung sagen, dass das unglaublich quälend und demütigend sein kann”, kritisiert Samuel Niehaus. Nicht nur von trans* Beratungsstellen, der Community und trans* Personen wird diese verpflichtende Therapie abgelehnt. Auch die Bundespsychotherapeutenkammer fordert deren Abschaffung.
Nichtbeachtung nicht-binärer trans* Personen:
“Obwohl es neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch die Möglichkeit gibt, für den Personalausweis o.ä. divers zu wählen, werden nicht-binäre Personen in den Richtlinien der Krankenkassen nicht gesehen. Eine nicht-binäre Person muss also lügen und sich als trans* Frau oder trans* Mann definieren, um eine medizinische Transition durch die Krankenkasse bezahlt zu bekommen. Obwohl es dazu keine wissenschaftliche Begründung gibt”, schildert Lara Hofstadt.
Lange Wartezeiten:
Für die verpflichtenden Therapien sind trans* Personen darauf angewiesen, einen Platz bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin zu finden. Laut Bundespsychotherapeutenkammer haben 40 Prozent der Patient*innen 2021 länger als sechs Monate auf einen Behandlungsplatz warten müssen. Samuel Niehaus schildert, dass es für trans* Personen oft noch schwieriger sei, einen Therapieplatz zu finden, weil sie auf transerfahrene Therapeut*innen angewiesen sind, die auch in der Lage sind, Gutachten für die Krankenkasse anzufertigen. Auch auf Termine bei Endokrinolog*innen (dort müssen trans* Personen hingehen, wenn sie eine Hormonbehandlung machen) warte man lang und die Wartezeiten für Operationen seien oft “unzumutbar” lang.
Welche Punkte machen aus dem Gesundheitswesen einen Ort, der für trans* Personen schwierig ist?
Im Gesundheitswesen werde stark zwischen krank bzw. abweichend und gesund unterschieden, sagt Lara Hofstadt. “Trans* Personen fallen allerdings aus den dominanten Definitionen heraus, weil zum Beispiel scheinbar gesunde Körperteile behandlungsbedürftig sind und im Gegensatz dazu ihre Geschlechtsidentität trotz Abweichung von der Norm nicht behandlungsbedürftig ist. Das Gesundheitssystem ist mit diesen alten Vorstellungen von trans* als Störung ein sehr schwieriger Ort für trans* personen. Trans* Personen werden oft nicht als Expert*innen für ihre eigene Gesundheit gesehen.” Doch trans* Männer seien stark auf das Gesundheitswesen angewiesen, wenn sie eine medizinische Transition wollen. Sie müssen beispielweise wegen ihrer Hormonbehandlung ihr Leben lang zu Blutuntersuchungen gehen.
“Es gibt nicht viele Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, die transerfahren sind. In der Trans*-Community haben wir die Erfahrung gemacht, dass Mediziner*innen komplett damit überfordert sind, wenn eine trans* Person vor ihnen sitzt”, sagt Dr. Adrian Hector im Gespräch mit dem stern. Er ist seit 2022 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft bei den Grünen. Adrian Hector ist selbst ein trans* Mann und in der Fraktion Sprecher für geschlechtliche Vielfalt.
Er schildert: “Das schwerwiegendste Problem für mich in Bezug auf Gesundheit ist, dass eine gewisse Ignoranz herrscht. Nehmen wir zum Beispiel Informationen zu Krankheiten oder Medikamenten – dort wird dann nur cisgeschlechtlich gedacht. Bei Frauen wirkt es sich so und so aus und bei Männern so. Ich als trans* Mann stelle mir die Frage, ob ich gemeint bin oder nicht. Ich würde mir hier eine exaktere Formulierung von Ärzt*innen wünschen.” Samuel Niehaus ergänzt: “Jede medizinische Behandlung bedeutet Kontrollverlust und Demütigung, weil das System so angelegt ist. Standardmäßig erleben trans* stigmatisierende psychotherapeutische und medizinische Behandlungen und sehr erschwerter Zugang zu geschlechtsspezifischen Leistungen wie Gynäkologie und Urologie, übergriffige Fragen, und Ahnungslosigkeit.”
Welche Folgen können entstehen?
Samuel Niehaus weiß aus seiner Beratung, dass sich manche trans* Männer illegal Testosteron im Internet beschaffen, weil die Hürden über das Gesundheitssystem so groß sind. Auch Operationen lassen trans* Personen zum Teil im Ausland durchführen. Es sei wichtig, zu verstehen, wie groß der Leidensdruck bei einigen trans* Männern ist. “Durch die langen Wartezeiten und die Regularien der Krankenkassen stehen viele trans* Personen wahnsinnig unter Druck. Und das sind dann auch Situationen, in denen sich trans* Personen etwas antun, sich das Leben nehmen.”
Durch zu wenig Wissen auf Seite der Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen bestehe auch die Gefahr einer falschen Behandlung – zum Beispiel, weil ein gynäkologisches Problem bei einem trans* Mann falsch diagnostiziert werde. Auch in der Forschung sehe man, dass trans* Personen vernachlässigt werden. Alle trans* Männer, die Hormone nehmen, nutzen diese “off Label”. “Heißt also: Es gibt kaum wissenschaftliche Daten über Langzeitfolgen bei der Anwendung in der Transition. Durch viel Erfahrungswissen ist die Behandlung aber sicher.”
Was müsste sich im Gesundheitswesen verändern, damit trans* Männer optimal versorgt werden?
“Ein ganz wichtiger Punkt, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern, ist es, dass die medizinische Versorgung im Rahmen einer Transition bei den Krankenkassen zur Regelleistung werden.” Also wenn ein trans* Mann Hormone nehmen möchte, die Brüste entfernen lassen will oder eine genitalangleichende Operation durchführen lassen will, sagt der Grünen-Politiker Adrian Hector.
“To Survive on This Shore”
Leben als Trans-Mensch: “Ich hatte sie vorher nie wirklich glücklich gesehen”
Der November soll auf Männergesundheit aufmerksam machen. Was bedeutet der Monat für trans* Männer?
“Auf der einen Seite ist der Begriff Männergesundheit nützlich, weil bekannt ist, dass cis-Männer häufig nicht so oft zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Auf der anderen Seite macht der Begriff wieder ein sehr enges Bild von Männerkörpern auf und bedenkt zum Beispiel nicht, dass auch eine trans* Frau oder eine nicht-binäre Person eine Prostata hat”, sagt Lara Hofstadt.
Samuel Niehaus ergänzt: Der Begriff Männergesundheit steht aus meiner Sicht für psychische, physische, sexuelle und soziale Gesundheit von Männern. Doch trans*Männern werde es schwer gemacht, dass sie wirklich mit sich und ihrem Leben zufrieden und gesund seien, können. “Meiner Erfahrung nach ist für viele trans* Männer gelingende Sexualität eines der besten Argumente für eine körpermodifizierende Transition das beste Argument für Transitionen. Viele sind vor der Transition nicht in der Lage, Sex zu haben, überhaupt eine andere Person an sich ranzulassen. Mit der Transition kann sich das ändern. Das Testosteron bewirkt meist eine Steigerung der Libido, und es verändert bei vielen das sexuelle Empfinden. Aber vor allem das veränderte Körpergefühl und das verbesserte Identitätsempfinden trägt einen sehr großen Teil seinen Teil dazu bei, das viele trans* Männer jetzt anfangen können, ein sexuelles Leben zu führen.”
Quellen: Begutachtungsrichtlinien GKV, ICD 11 (deutsche Entwurfsfassung), Diagnosemanual DSM-5, Bundespsychotherapeutenkammer 1, Bundespsychotherapeutenkammer 2, Glossar FU Berlin , Bpb